Ausgabe 22/2017

Bleibt alles beim Alten?

Titel WW22/2017

Die Weinbranche schiebt ein ungelöstes Problem vor sich her. Für die Bezeichnung von Wein gibt es zwar ein ausgeufertes Regelungswerk, das, wie ein gestandener Lebensmittelrechtler vor kurzem konstatierte, einen Detailierungsgrad erreicht, der in der Praxis oft kaum zu handhaben ist und sich selbst ausgesprochenen Spezialisten nur schwer erschließt. Wie schön, wenn selbst erfahrene Wirtschaftsjuristen solche Erkenntnisse kundtun. Das Bezeichnungsrecht spiegelt nationale Traditionen und Gebräuche wider, die im Verein mit europäischen Regeln eine fast unüberschaubare Rechtsmaterie bilden, feixt der Jurist. In der Materie Wein und Alkohol hat die EU im Laufe der Jahre kräftig herumgerührt und den nationalen Gesetzen ihre Regelungen draufgesetzt. Die schmecken nicht allen Duodezfürsten in den Ländern und Provinzen, weshalb nationale Regelungen manchmal das Gegenteil der EU-Regeln bewirken. Nun sind aber die Menschen gar nicht so verschieden voneinander, und der übliche Weg, Nahrungs- und Genussmittel aufzunehmen, erfolgt in der Regel über Mund und Gaumen. Es soll zwar Zeitgenossen geben, die nur von Luft und Liebe leben, doch spätestens mit dem Erreichen des 25. Lebensjahres reicht es nicht mehr aus, sich »by the way« zu ernähren, sondern es bedarf einer Küche und allem anderem, was einem effizienten und zugleich genussorientierten Überleben dient.
Die Nahrungsmittel, die darin verbrutzelt und verbraten werden, soll der fern der Landwirtschaft aufgewachsene Konsument vernünftig erkennen können, weshalb die verschiedenen Gesetzgeber schon seit Jahrzehnten mit so wohlklingenden Regelwerken wie der 1981 in Deutschland in Kraft getretenen »Lebensmittelkennzeichnungsverordnung« oder der schließlich in allen Teilen erst seit Dezember 2016 gültigen EU-Verordnung über die »Information der Verbraucher über Lebensmittel« (LMIV) regelnd eingreifen, was die Hersteller andernfalls verkaufswirksam auf ihre Produkte schreiben. Erstaunlich, dass es dennoch die Kalbsleberwurst ohne Kalbsleber und den Parmaschinken via bayerischem Mastbetrieb gibt. Sei’s drum, die Kennzeichnung alkoholischer Getränke steht mal wieder auf dem Plan. Denn auf eigentümliche Weise gilt das, was beim Müsliriegel verlangt ist, nicht beim Wein. Bei alkoholischen Getränken können die Hersteller auf die ansonsten obligatorischen Zutatenverzeichnisse und die Nährwertkennzeichnung verzichten. Erfolgreich haben sich Wein und Bier bisher um diese Angaben gedrückt. Wohl weil Wein und Bier rein gedanklich aus einer Zutat bestehen und daher frischem Obst, Milch, Gemüse, Käse oder Butter ähneln. Zumindest wenn man argumentiert, dass Wein und Bier wie Milch und Tafelwasser nur eine Zutat enthalten. Was brächte es, wenn solche Lebensmittel das auch noch in der Etikettierung angeben müssten, argumentieren die Juristen. Die Kennzeichnung von Zusatzstoffen, etwa der berühmte Zuckerlikör beim Whiskey, sind eh obligatorisch. Also könnte sich die Branche zufrieden zurücklehnen und darauf beharren, dass der Verbraucher durch die Angabe der Zutaten bei Alkoholika keine zusätzliche Aufklärung erhält, was juristisch nicht mal zulässig wäre.
Diffiziler ist die Frage einer ergänzenden Nährwertkennzeichnung, die ja grundsätzlich alle Lebensmittel tragen müssen. Bislang wurde das noch in keiner Gesetzesvorlage für Alkoholika gefordert, wohl um nicht die Lust der Verbraucher zu wecken, Kalorien aus Zucker, Fett und Alkohol gleichzusetzen. Was die Ernährungswissenschaftler stets mit dem Argument begleiteten, dass wer sich über Kalorien aus Alkohol ernährt, vermutlich ein ganz anderes, viel dringenderes Problem als ein Zuviel an Energie hat. Das Einsparpotenzial von 500 kcal erfordert den täglichen Verzicht auf eine Flasche Wein oder 11 Whiskey-Shots, um die Dimension einmal plastisch vor Augen zu führen. Auch aus diesem Grund sieht der gute Jurist also keine Veranlassung eine Nährwerttabelle auf das Etikett zu drucken. Dann ist ja alles klar, es bleibt alles beim Alten, und so sieht das wohl auch die EU-Kommission, die ihre eigene Frist für eine Neuregelung im Frühjahr 2018 wohl verstreichen lässt. Ob’s dabei bleibt, wissen die Götter.

Hermann Pilz
Chefredakteur Weinwirtschaft
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