Ausgabe 17/2017

Hat Größe einen Wert?

Titel WW17/2017

Der Strukturwandel im deutschen Weinbau hält an: Von 2003 bis 2016 sank die Zahl der Betriebe mit Weinbau von 29.000 auf 16.900, und das bei so gut wie konstanter Rebfläche von rund 100.000 Hektar. Die logische Folge: Die durchschnittliche Rebfläche legte von knapp über 3 auf jetzt 6 Hektar zu. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht wird sie von vielen sicher als positiv gewertet. Mit der Tendenz zu größeren Betrieben ist Deutschland im Umfeld seiner Nachbarn nicht allein. In allen traditionellen europäischen Weinbauländern findet die gleiche Entwicklung statt, legt die durchschnittliche Größe der Betriebe zu. Allen gemeinsamen Entwicklungen zum Trotz bestehen dennoch große Unterschiede zwischen den europäischen Weinbauländern, was am Beispiel Italiens gut zu zeigen ist. Die Zahl der Weinbaubetriebe in Italien beträgt etwa 200.000. Bei einer Gesamtrebfläche von rund 640.000 Hektar rangiert die durchschnittliche Größe bei der Hälfte deutscher Betriebe. Wirtschaften die Italiener also ineffizienter und sind sie schlechter für die Zukunft gerüstet? Der italienische Weinbau hat anders als der deutsche eine viel weiter gediehene Arbeitsteilung zwischen Traubenerzeugung, Weinbereitung und Vermarktung. Der Anteil der Genossenschaften an der Produktion liegt bei rund 60 Prozent. Sowohl in der Produktion wie der Vermarktung gehören etliche Genossenschaften zur Top-Liga der italienischen Weinwirtschaft, und das nicht nur hinsichtlich der Größe, sondern auch hinsichtlich der Qualität. Für viele deutsche Weinhändler sind sie unverzichtbare Lieferanten.

Mit Riunite, Caviro, GIV, Mezzacorona, Cavit oder der Collis Veneto Wine Group spielen etliche auf internationalem Parkett in der ersten Reihe. Das System der Herkunftsweine, der dahinterstehenden Konsortien und das darin verankerte Festhalten an traditionellen Qualitätsparametern ermöglicht es den Mitgliedswinzern dieser Betriebe, im Konzert der Großen mitzuspielen. Und warum? Innerhalb des Systems liefern sie Trauben, die nicht Rohware für x-beliebige Rebsortenweine sind, sondern einen Namen haben. Im Gegensatz dazu zählen für deutsche Betriebe in der Vermarktung mit wenigen Ausnahmen nur noch der Weingutsname und die Rebsorte. Die Italiener vermarkten dagegen einen Großteil ihrer Weine mit Namen, Rebsorte UND ihren Regionen und sind daher nicht austauschbar. Darin liegt der große Unterschied und das Preisniveau, auf dem man sich bewegt. Doch was lehrt die Erkenntnis? Unternehmenswachstum bietet noch keine Garantie für besseres Wirtschaften und bessere Qualitäten. Wie sieht denn die Realität aus? Ohne Vollernter und Einsatz industrieller Technik inklusive synthetischer Hilfsmittel ist der Weinbau in vielen Fällen nicht mehr machbar. Die mit Reben bepflasterten Weinflure in Rheinhessen und das sprichwörtliche Rebenmeer in der Pfalz haben doch mit ökologischer Vielfalt nichts mehr zu tun. Dort wo keine Reben stehen, wächst zu allem Überdruss Mais. Welch eine Idiotie der Landnutzung, die sich auf lange Sicht rächt.

Weinbau ist als Sonderkultur in hohem Maße Handarbeit. Doch die dafür notwendigen Arbeitskräfte sind heute nicht mehr da. Also ist das Wachstum der Betriebsgrößen aus der Not geboren und nur scheinbar Ausdruck effizienteren Wirtschaftens. Die Winzer sind Hilfsgärtner und die vor- und nachgelagerte Industrie bestimmt. Vermutlich werden heute nur noch 5 Prozent der deutschen Weinernte per Hand gelesen, mit allen Folgen, die das für die Qualität bringt, die bestenfalls durchschnittlich gerät und weinhaltige Getränke liefert, aber keinen Wein, wie ich ihn verstehe. In italienischen Qualitätswein-Disziplinaren ist in vielen Fällen Handlese vorgeschrieben. Die intensive Hinwendung zu den Reben als Grundlage der Produktion, wie sanfter Rebschnitt und ein umweltverträglicher Umgang mit Böden, Flora und Fauna, muss der deutsche Weinbau erst wieder aus den romanischen Ländern lernen. Größe ist nicht alles, freie Wirtschaft und freies Unternehmertum dagegen schon, das aus eigenem Antrieb wächst, Kooperationen bildet und eigene Wege geht, wo nötig. Vorrang muss die Qualität der Weine haben, und das Ziel höherer Preise.

Hermann Pilz
Chefredakteur Weinwirtschaft
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