Ausgabe 16/2015

In der Qualitätsfalle - Der Erfolg frisst seine Kinder. Schlechte Weine werden seltener. Auffallen um jeden Preis, heißt die neue Losung.

Weinwirtschaft Ausgabe 16/2015

Eine frohe Botschaft gibt’s vom deutschen Weinmarkt: Die Qualität der in Deutschland im Handel angebotenen Weine ist in den letzten Jahren deutlich besser geworden. Natürlich gibt es immer noch überlagerte Weine, und ab und an schleicht sich auch ein Wein mit einem klassischen Weinfehler in die Regale, aber die krassen Ausreißer früherer Tage sind seltener zu finden. Die Ursachen für die verbesserten Qualitäten sind vielfältig: Die Veränderung des Klimas erlaubt es häufiger als früher, reife Trauben zu ernten. Die bessere und schnellere Verarbeitung, besser ausgebildete Winzer und Önologen und nicht zuletzt ein besseres Qualitätsmanagement auf allen Ebenen sind Faktoren, die zu fehlerfreieren Qualitäten beigetragen haben. Einen weiteren Schub in diese Richtung wird die Einführung moderner, »All inclusive«-Erntemaschinen bringen, die bereits im Weinberg sortieren und Qualitäten liefern, die selbst bei Handlese schwer zu toppen sind. Exorbitante Preisunterschiede werden kaum mehr zu rechtfertigen sein. Eigentlich paradiesische Zustände für die Weinproduzenten, wäre da nicht der Konsument, den man mit seinen Produkten erreichen muss, und der Handel als Gate-Keeper, den es auf dem Weg dorthin als Vermarktungspartner zu überwinden gilt. Keine einfache Angelegenheit, wie jeder weiß, der mit dem Handel zu tun hat.

Im Lebensmittelhandel wird derzeit mit harten Bandagen gekämpft, die fast dem Ausbruch eines ideologischen Kulturkampfes gleichen. Schien es, als hätte sich in den letzten Jahren eine Art Burgfrieden eingestellt und die Großen – Aldi, Lidl, Edeka, Rewe, Real und Kaufland – ihre Claims abgesteckt, sind die Zeiten der Gemütlichkeit vorbei. Mit Macht drängen die Harddiscounter ins Markengeschäft und versuchen, dem übrigen Handel Kunden abzujagen. Das tut weh, denn die Discounter promoten Markenartikel zu Dauerniedrigpreisen, die auf den Aktionspreisniveaus der Super- und Verbrauchermärkte liegen. Sortimentserweiterung um attraktive Markenartikel gehört jedoch zum Konzept der sich neu erfindenden Discounter. Wie schon lange vorhergesagt, wandeln sich diese mehr und mehr zu Nachbarschaftsläden. Discountformate, die in England, den USA oder Australien zu sehen sind, zeigen, wohin die Reise geht. Trader Joe’s in Deutschland wäre wohl mal eine richtige Überraschung für die Konsumenten, statt der sterilen Läden die Aldi, Lidl & Co. ansonsten hierzulande betreiben. Für die Markenartikler bedeutet die vereinnahmende Umarmung der Discounter eine fatale und zugleich gefährliche Entwicklung. Experten warnen vor dauerhaften Wertverlusten, wenn die Vertriebsvorstände schwach werden. Die verführerischen Argumente sind überall die gleichen und werden in den Führungsetagen hin und her gewälzt: »16.000 Discount-Outlets kann man nicht ignorieren, will man keine weißen Flecken auf der Landkarte haben«.

Für den Weinbereich, in dem echte Marken bislang die Ausnahme sind, dürfte die veränderte Sortimentspolitik keine gravierenden Auswirkungen haben. Wein und Sekt gehören schon lange zum Portfolio der Discounter. Die Preise sind unten, tiefer geht’s nicht. Allenfalls die On-Top-Strategie im Premium-Bereich sorgt im Wein- und Sektregal für Wallung. Doch, ob die tatsächlich erfolgreich ist, darf angesichts jüngster Beispiele aus dem Hause Lidl bezweifelt werden. Gefahr droht dagegen den anderen Vermarktungswegen, da das fehlerfreiere Weinangebot kaum noch eine Möglichkeit bietet, sich durch Qualität erkennbar abzugrenzen. Zumindest so, dass das auch Otto Normalverbraucher und nicht nur ein paar Weinfreaks mitbekommen, die es ja auch noch geben soll. Die Versuche, sich zu differenzieren, treiben daher in der Weinbranche bizarre Blüten und reichen von schrillen
Auftritten bis zu förmlichen Entgleisungen wie »If you are racist, a terrorist, or just an asshole, don’t drink my Sauvignon Blanc«. Bleibt die Hoffnung, dass das Weinmarketing und die Kreation neuer Wortschöpfungen nicht in Banalitäten und Peinlichkeiten versinken.

Hermann Pilz [email protected]