Ausgabe 13/2018

Widersprüchlichkeiten

Titel WW 13/18

Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe. Zwei Winzer produzieren Wein aus gleichen Rebsorten, in gleicher Lage und unter gleichen klimatischen Bedingungen. Das Mostgewicht bei der Ernte ist gleich, und doch können die daraus gewonnenen Weine unterschiedlicher nicht sein. Beide Winzer haben jedoch Anspruch auf die gleiche Bezeichnung, womit das Dilemma für die Konsumenten beginnt. Das Beispiel führt vor Augen, worin die Probleme der Weinwirtschaft bestehen. In der Praxis wird's noch viel komplizierter und verwirrender, wenn der eine mehr und der andere weniger für seinen Wein verlangt. Das zuletzt 1971 reformierte deutsche Qualitäts- und Bezeichnungssystem mit dem Zuckergehalt in Form des Mostgewichtes als zentralem Maßstab für die Klassifizierung erweist sich nach fast 50 Jahren Großversuch als ungeeignet, Ungleiches gleich zu machen und ein technisches Messsystem für die Orientierung der Verbraucher zu nutzen. Denen kommt es mehr auf Anmutung, persönliches Empfinden und individuellen Geschmack an. Alles Parameter, die sich einem reproduzierbaren Prüfsystem entziehen. Wie der TÜV beim Auto sollte jedoch die amtliche Qualitätsweinprüfung die Qualität und Verkehrsfähigkeit eines Weines bescheinigen. Das ging gründlich schief, wie die Praxis im Lebensmittelhandel zeigt, der inzwischen 3 statt der Mindestzahl von 1,5 Punkten der Qualitätsweinprüfung verlangt. Welche Berechtigung hat dieses System dann noch? 

Vor allem wenn man bedenkt, dass nach quälend langen Jahren, in denen sich einzelne Gruppen wie der VDP ihren eigenen Kosmos geschaffen haben, die Geschäftsstelle und der Arbeitskreis »Weinrecht und Weinmarkt« des Deutschen Weinbauverbands im November 2017 den Auftrag erhielten, Vorschläge für eine Reform des Bezeichnungsrechts zu entwickeln. Das bisherige System soll in ein neues »herkunftsorientiertes Qualitäts- und Bezeichnungssystem« überführt werden. Vereinfachung, mehr Transparenz und eine systematische Angebotspyramide von Wein mit und ohne Herkunft sowie eine Profilierung durch Schutzgemeinschaften sollen gefunden werden. Die Erzeuger bekommen scheinbar mehr Verantwortung und Gestaltungsspielräume und können nun selbst über Profile und die Schaffung von Hierarchien und Weinkategorien entscheiden. Listet man die Stufen auf, wie sie auf dem Papier stehen, dann gibt es in Zukunft Deutschen Wein, Wein aus Anbaugebieten, Weine aus Bereichen sowie Gemeinde- und Ortsteilweine und last but not least Lagenweine aus Groß- und Einzellagen. Macht summa summarum wenigstens fünf Stufen. Man darf jubeln. Zumindest was das Ziel Vereinfachung betrifft, hat man schon ganze Arbeit geleistet. Vollkommen unklar ist noch auf welcher Stufe die Weine mit geschützter geografischer Angabe und geschütztem Ursprung stehen und was außer mit dem ungeklärten Problem der Großlagen mit den traditionellen Begriffen passiert. Wussten Sie, dass dazu Affentaler, Badisch Rotgold oder Verkaufsschlager wie die Ehrentrudis zählen? Ganz zu schweigen von den Prädikatsweinen oder dem einstigen Hoffnungsträger Classic. Um die Verwirrung komplett zu machen, wird das neue System natürlich variiert durch die unterschiedlichen Gestaltungen in 13 Anbaugebieten unter Mitwirkung von 16 Bundesländern. Nicht nur theoretisch sondern auch praktisch darf Weinbau heute schließlich überall im Bundesgebiet stattfinden.

Gibt es Alternativen? Mir kommt eine Probe mit chilenischen Weinen in den Sinn, in der eine Gran Reserva kredenzt wurde. Auf die Frage, ob das gesetzlich geregelt sei, erhielt ich die Antwort: »Das macht jeder Erzeuger entsprechend seiner eigenen Qualitäts- und Preissystematik. Was er teurer verkaufen will, muss eine erkennbar höhere Qualität haben«. So geht’s halt auch. Und die Chilenen sind gut im Geschäft: In den USA, in Brasilien und in China und weiß der Teufel sonst noch. El diablo está en el detalle.

Hermann Pilz
Chefredakteur Weinwirtschaft
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