Ausgabe 11/2017

Puristisches Denken erlaubt?

WEINWIRTSCHAFT Ausgabe 11/2017

Der Gedanke verfolgt mich seit Jahren: Wieviel Natur ist noch im Wein und speziell in meiner Lieblingsrebsorte Riesling, die für den deutschen Weinbau eine so überragende Bedeutung hat?

Ein Vortrag auf dem diesjährigen Internationalen Riesling Symposium des VDP-Rheingau war Anlass, mich einmal intensiver mit diesem Thema zu beschäftigen. Vorab sei jedoch dem VDP-Rheingau, dem Vorsitzenden Robert Weil und seinen Mitstreitern herzlicher Dank gesagt für diese wirklich großartige Veranstaltung in den historischen Räumlichkeiten des Kloster Eberbach, an der ich leider nur sehr kurz teilnehmen konnte und daher einige großartige Weine verpasst habe. Schuld daran sind Sie, meine lieben Leser, denn die Produktion der WEINWIRTSCHAFT geht vor, und persönliche Wünsche müssen zurückstehen. Denn mein größtes Interesse gilt nun mal dem Handel mit Wein, den Mitgliedern dieses Berufsstandes und der Weinwirtschaft. Was war der Kern meiner Ausführungen, die ich mit dem Titel »Der Junker Don Quijote oder warum die Önolgie einen Erfolg des Rieslings verhindert« übertitelt habe? Nun, Don Quijote ist mehr als ein aufgedunsener Ritterroman und eine Persiflage auf das Gehabe spanischer Edelleute des sechszehnten Jahrhunderts.

Der Roman berührt ein ganz wesentliches Element menschlichen Handels und hat deshalb auch bis heute nichts an Aktualität verloren. Don Quijote verfolgt eine Utopie, eine fixe Idee, ein geträumtes Ideal als Ziel zukünftigen Handelns. Mit jedem seiner Abenteuer wird uns seine Verrücktheit und sein Irrweg klarer, von der er zum Schluss des Romans im Übrigen geheilt wird. Auf seinem Weg dorthin dient ihm eine Fiktion als Realität, womit sein andauerndes Scheitern vorprogrammiert ist.

Auch viele Riesling-Weine, wie sie heute auf den Markt kommen, und das ist meine Parallele zu Don Quijote, haben sich weit von ihrem Ursprung und ihrer Realität entfernt. Das Ideal, König der Weißweinsorten, wird beschworen, was nichts mit der Wirklchkeit zu tun hat. Ihre Erzeuger befinden sich wie Don Quijote und viele andere Weinproduzenten auch auf dem Holzweg, die meinen, mit Süße die Schwäche eines dürftigen Weins kaschieren zu können. Die Natur würde eigentlich nur zwei Arten der Erzeugung von Riesling-Weinen erlauben: Zum einen trocken, durchgegorene Weine und zum anderen edelsüße Beerenauslesen, Trockenbeerenauslesen und Eisweine mit Mostgewichten weit jenseits der 100 Grad Oechsle.

Gerhard Troost, der große Geisenheimer Önologe, weist zu Recht darauf hin, dass der Erhalt einer wie auch immer produzierten Restsüße bei Weinen unter 100 Grad Oechsle schwierig und nur aufgrund des Einsatzes technologischer Verfahren möglich ist. Das entscheidende Werkzeug dazu lieferte Anfang der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts Friedrich Schmidhenner von den Seitz Filterwerken mit der Erfindung der Entkeimungsfiltration. Er revolutionierte damit die Weinerzeugung. Restsüße Weine konnten fortan beliebig produziert werden, was zu einer Demokratisierung des Weinkonsums führte. Es erlaubt bis heute größere Mengen einfacher oder sogar schwacher Weine zu produzieren, die anschließend in den Kurkliniken der Önologie und mit viel zuckersüßer Schminke aufgehübscht werden. Eine dralle Dirne wird zur Edeldame, um einmal einen vollkommen unpassenden machohaften Vergleich zu wagen.

Bis heute hat sich der Riesling von diesem Verlust an Natürlichkeit nicht erholt. Objektiv betrachtet sind ein Großteil der am Markt vorhandenen Weine als schwach und dürftig zu bezeichnen. Der Anteil wirklich trockener Weine, die Substanz, innere Stärke und Haltbarkeit aufweisen, ist minimal. Die Fahndung nach Weinen mit Restzuckerwerten unter 4 Gramm pro Liter, die sich als herausragend präsentieren, gerät zur sprichwörtlichen Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Denn es verlangt geringe Erträge, beste Lagen, viel Handarbeit, Hingabe und Verzicht, was kaum noch jemand zu leisten bereit ist. Entsprechend niedrig fallen auch die Preise aus, die heute für Riesling-Weine im In- wie im Ausland bezahlt werden.

Hermann Pilz
Chefredakteur WEINWIRTSCHAFT
[email protected]