Ausgabe 11/2015

Ohne Frauen?

WEINWIRTSCHAFT Ausgabe 11/2015

Die Onliner setzen auf mehr Service, der stationäre Handel auf Optik und verliert seine Kunden aus den Augen.

Stimmt das Szenario, das die Online-Gurus auf MEININGER’S INTERNATIONAL WINE CONFERENCE am Vortag der ProWein skizzierten, dann brechen für eine Vielzahl von Händlern harte Zeiten an. Überlebenschancen hat nur, wer sich mit Multi-Channel-Lösungen und Kundenservice beschäftigt. Ansonsten gewinnen die internationalen Großkonzerne das Rennen, allen voran Amazon. Der weltgrößte Online-Händler greift den Handel auf allen Ebenen an, neuerdings auch bei Lebensmitteln und Wein, wie glaubhafte Berichte vermitteln. Amazon will in Großstädten seinen schnellen Lieferservice »Prime Now« einführen und die Kunden binnen weniger Stunden auch mit Waren des täglichen Bedarfs bedienen. Wer es ganz eilig hat, zahlt eine kleine Gebühr obendrauf und bekommt seine Bestellung fast unmittelbar ins Haus.
 
Die Vorteile des Online-Handels liegen auf der Hand: Er bietet Einkauf rund um die Uhr und an jedem beliebigen Ort, dank immer leistungsfähigerer Smartphones. Nirgends lassen sich Preise besser und umfassender vergleichen. Dazu bietet der Online-Einkauf ein Maß an Bequemlichkeit, spart Zeit und Kosten um Läden und Märkte aufzusuchen. Aber nicht nur für die Konsumenten ist der Online-Einkauf mit etlichen Vorteilen verbunden. Das Geschäft spart den Anbietern teure Läden und teures Personal. Es genügt ein Zentrallager auf der grünen Wiese oder ein innerstädtisches Depot und neben einigen wenigen Computerspezialisten, Logistikern und Textern reichen billige Hilfskräfte für den Versand der Waren aus. Alles Übrige was fürs Geschäft notwendig ist – Straßen, Transporteure und EDV-Technik – stellt die Allgemeinheit nahezu kostenfrei zur Verfügung oder subventioniert deren Nutzung. Billiger kann man sein Geschäft nicht auf Kosten anderer betreiben. Ist das die Zukunft?
 
Szenenwechsel. Sprechen wir nicht von den Weinspezialisten oder Highstreet-Weinhändlern, wie es in England heißt, die als Experten perfekt auf der Klaviatur sozialer Kompetenz und Erlebniswelt zu spielen wissen, sondern vom bodenständigen Weinkauf im Lebensmitteleinzelhandel, wo sich die Heringsbändiger alter Schule dem Thema Wein widmen. Dort fristet er nach wie vor ein bescheidenes Dasein, wie ein Besuch in einem Vorzeigeladen ergab. Er steht in Itzehoe, wurde 2015 zum Supermarkt des Jahres gekürt und gehört zur kleinen aber feinen Handelsgruppe von »Edeka-Frauen« nördlich von Hamburg. Motto: »Ohne Frauen geht’s nicht«. Das Outfit des neu gebauten Marktes ist schick, niedere Regalhöhen öffnen den Blick. Die Lebensmittel sind übersichtlich angeordnet. Gepflegte Sauberkeit lässt das Einkaufen appetitlich erscheinen. Frische Lebensmittel und großzügige Bedientheken für Obst und Gemüse bis zum Meeresgetier versprechen kulinarische Genüsse.
 
Einen Sonderplatz nimmt die Weinabteilung ein: Gepflegter Holzboden, ein bisschen Deko mit Gläsern und das eine oder andere Weinmotiv sollen für Atmosphäre sorgen. Wichtig scheint: alle Flaschen stehen in Reih und Glied und mit so vielen Facings wie möglich, was den Regalen unweigerlich eine gewisse Monotonie verleiht. Einfallsreiche Aktionen sucht man vergebens. Frankreich, Italien, Spanien und Übersee sind gut bestückt, auch Marken gibt es reichlich. In der deutschen Abteilung dominieren bekannte Genossenschaften aus Baden und der Pfalz neben einigen Weingütern. Oft scheinen die Lieferanten mit 10, 15 oder mehr Weinen gelistet zu sein, mit uniformen Etiketten; vom Liter- bis zum Premiumwein. Angesichts des großen Angebots dürften die meisten Kunden vor einem unlösbaren Problem stehen: »Wie finde ich den passenden Wein?« Gleich zweimal wurde ich von Kunden angesprochen und um Rat gebeten. »Sie sehen aus, als würden sie sich auskennen«, meinte eine Dame und gestand, Sie suche einen trockenen Weißwein, der zu Spargel passt, nicht zu sauer und süß sei und zwischen 5 und 6 Euro kosten solle. Der Frau konnte geholfen werden. Stellt sich die Frage, warum der Handel die Beratung so sträflich vernachlässigt? Ein geschulter Mitarbeiter würde den Abverkauf in Schwung bringen. Vielleicht sollten sie ihr Motto doch mal ernster nehmen.
 
Hermann Pilz [email protected]