Ausgabe 11/2014

Chaos oder System?

Als ich diese Zeilen verfasste, war das »Internationale Riesling Symposium« (IRS) noch voll im Gang. Schon jetzt darf man den Initiatoren, allen voran Wilhelm Weil als Vorsitzendem des VDP-Rheingau, den Referenten, Moderatoren und Teilnehmern danken, dass sie die Realisierung der Veranstaltung im Rheingau möglich gemacht haben. Zusammen mit dem »Riesling Rendezvous« in Seattle und dem australischen »Riesling Down Under« in Sydney und Melbourne schafft das IRS eine dreijährig alternierende Veranstaltungsreihe, die der Bedeutung der weltweit wertvollsten Weißweinsorte gerecht wird. In fundierten Vorträgen und interessanten Degustationen ging das Symposium auf das große Thema Riesling in allen seinen Facetten ein: Riesling aus Nordamerika, Australien und Neuseeland genauso wie aus europäischen Herkünften aus Deutschland, Österreich oder Frankreich standen im Mittelpunkt. Die Weine der Sorte begeistern viele Konsumenten und noch mehr Experten. Kaum jemand der nicht von der Sensorik fasziniert ist. Die Bandbreite ist groß und reicht von delikaten Fruchtaromen bis zu reifen Honig- oder Walnussnoten. Dies alles gepaart mit einer spürbaren Säure für die das Englische mit dem Begriff »mouth-watering« eine herrliche Umschreibung liefert. Doch so erfolgreich der Riesling sich auch präsentiert und weltweit im Anbau wieder mehr Beachtung findet, so sehr können Rieslingweine auch verstören und die Konsumenten in sprichwörtlicher Ratlosigkeit zurück lassen. Gleich zu Beginn des IRS kam Willi Klinger, Chef der Österreich Wein Markting, in seinem Grundsatzreferat auf das Hauptdilemma des Riesling zu sprechen: »Während der Ruf des Riesling als edelste Rebsorte der Welt unbestritten ist, bleibt das Image der Rieslingweine ein höchst verworrenes. Von den lichten Höhen absoluter Weltklasse bis in die finsteren Keller der billigen Massenproduktion reicht das Erscheinungsbild dieser Kategorie, so dass man sich fragen muss: Ist Riesling als durchgehender Weintyp überhaupt erfassbar?« Das Problem liegt in der Süße, »einer Empfindung die normalerweise positiv besetzt ist«, argumentiert Klinger und nennt Zucker als den Casus knacksus: »Die Frage der Süße spaltet das Bild vom Riesling bis zu dem Punkt, wo selbst Kenner nicht mehr wissen, was hier jetzt Sache ist.« Als Lösungsansatz empfiehlt er die Einführung von Ursprungsweinen in denen sich Herkunft und Weintyp zu »einem« leicht erfassbaren Begriff verbinden, so wie es bei vielen großen Weinen der Fall ist und es Österreich mit seinem Konzept der »DAC-Weine« oder der »Verband Deutscher Prädikatsweingüter « (VDP) mit seiner Lagenklassifikation verfolgen. Doch der Versuch, den Riesling in eine solche Schablone zu pressen und auf eine Begrifflichkeit zu reduzieren, droht gründlich schief zu gehen. Der gute Gedanke greift zu kurz, denn man kann Systeme erfinden, wie man will, am Ende wird niemand einer Flasche Riesling von außen ansehen, wie sie tatsächlich schmeckt: neutral oder fruchtig mit pikanter Säure, dropsig mit pappiger Süße oder reif und likorös mit kaum schmeckbarem Zucker, der dennoch bei gereiften Riesling-Weinen vorhanden ist. Erst die Probe lässt erkennen, wie der Wein schmeckt. Der Grund ist die Vielfalt, die der Riesling zu repräsentieren vermag und die aus den drei Elementen Frucht, Süße und Reife besteht. Sie finden ihren Ursprung in den drei Faktoren Lage oder Herkunft, Prädikat oder Reifegrad der Trauben und der Geschmacksbalance nach erfolgter Gärung und dem Ausbau der Weine. Genau diese Informationen hat das gut gedachte aber schlecht gemachte deutsche Weingesetz von 1971 vermittelt. Es hat dem Kunden die Herkunft, die Reife der Trauben und den Geschmack auf dem Etikett bekanntgegeben. Das hatte System und wurde jahrzehntelang penetriert. Doch davon hat sich die Weinbranche inzwischen meilenweit entfernt und als Ersatz Krücken wie die »geborene« Qualität gefunden. Was den Geschmack feudaler Voreingenommenheit besitzt und sich in einem Jahr als richtig, im anderen als falsch erweisen kann. Anhand der heute verwendeten Weinbezeichnungen wird der Kunde kaum den von ihm gewünschten Wein erkennen können. In jedem Fall weniger als früher. Doch das hat aus Sicht des Weinhandels auch etwas Gutes: Die Probe ist durch nichts zu ersetzen, und die nährt den Berufsstand des Experten.

Hermann Pilz [email protected]