Ausgabe 10/2019

Realitätssinn gefragt
Titel WW10/19

Wer die Vinexpo vergangener Jahre kennt, wird sich verwundert die Augen reiben, in welch’ kurzer Zeit eine solche Messe vom Riesen zum Zwerg schrumpfen kann. Waren es vor wenigen Jahren noch mehrere Tausend Aussteller, die die drei überdimensionierten Messehallen belegten, dürften ausgerechnet zum 20.Jubiläum noch rund 850 Firmen und Institutionen übrig geblieben sein. Vorbei die Zeiten, als sich die Großen aus Übersee und die Top-Player aus Frankreich auf dem Messegelände in Bordeaux Lac im zweijährigen Turnus ein Stelldichein gaben.  
Ihre besten Zeiten hatte die Vinexpo als erste unter den internationalen Messen rund ums Millennium, als ein Robert Mondavi mit seiner Entourage die Messe zu einem gesellschaftlichen Ereignis machte und die großen Bordeaux- und Champagnerhäuser mit eindrucksvollen Präsentationen die Jahrtausendfeiern einläuteten. Die Weinwelt traf sich in Bordeaux.
Kritik an der Messe gab es allerdings schon immer: Die Anfahrt aufs Messegelände erwies sich stets als Abenteuer. Durch Industriebrachen oder altertümlich enge Häuserzeilen schob sich der Verkehr gen Messegelände, um dann auf der staugefährdeten Rochade vollends zu kollabieren.  
Für Verärgerung sorgte die mangelnde Hotelinfrastruktur und Unterkünfte, die zwischen astronomisch teuer und marode versifftem Etappenhotel schwankten. Dauerthema war der Termin Mitte bis Ende Juni, der dem Kalender der Negociants und der En-Primeur-Vermarktung auf dem Marktplatz Bordeaux geschuldet war. Einem Traumtänzer zwischen den Zeiten gleich fand die Messe dann statt, wenn das Geschäft eigentlich gemacht war. Dazu glänzten die Veranstalter mehr durch Bürokratie und obrigkeitsstaatliche Arroganz. Konzeptlos wurden halbgare Kongressveranstaltungen zelebriert, nach dem Motto: »Einer verdient immer.« 
Und jetzt: Hat die Messe was daraus gelernt? Ja und nein, möchte man sagen. 2019 hat die Vinexpo zu dem zurückgefunden, was ihre eigentliche Aufgabe sein sollte: Eine nationale Messe für französische Weine zugleich eine Messe für die Region Bordeaux als eines der bedeutendsten Weinbaugebiete der Welt. Der Markt hat ja was zu bieten. Mit rund 120.000 Hektar Rebfläche, einer Vielzahl herausragender Châteaus und Domänen sowie einer weit entwickelten Weinindustrie aus Handelshäusern und Weinkellereien kann die Region mit ihren Pfunden wuchern. 
Also wäre doch etwas mehr Liebe und Pflege der Messe angesagt. Aber es scheint fast wie auf dem Hof von Bauer Hempel zu sein: Raus aus den Kartoffeln, rein in die Kartoffeln. Wurde früher maßlos mit Blumenschmuck und Zierrat übertrieben und mit viel Aufwand und vermutlich noch mehr EU-Geldern wahre Gourmettempel errichtet, durfte man 2019 eher Beklemmung empfinden, ob des verwahrlosten Geländes rund um die Messehallen. Wo einst üppig dekoriert wurde, empfing den Besucher öde Wüste. Auch die Stadt Bordeaux scheint die Messe inzwischen aus den Augen verloren zu haben. Versuchte man in früheren Jahren den Verkehr mit leidlich verwirrender Beschilderung irgendwie zu lenken, fand sich dieses Jahr nicht ein einziges Schild, das einem Ortsunkundigen den Weg zum Messegelände hätte weisen können. Weniger kann man eigentlich schon nicht mehr tun. 
Ins Grübeln gerät man allerdings, wenn man auf den Terminkalender im nächsten Jahr blickt. Dann gastiert die Vinexpo vom 13. bis 15. Januar 2020 in Paris und pendelt zukünftig alle zwei Jahre zwischen Bordeaux und der Hauptstadt. Zu allem Überdruss veranstaltet die konkurrierende Comexposium genau einen Monat später vom 10. bis 12. Februar 2020 in Porte de Versailles die Messe »Wine Paris«, in der die frühere Vinisud und die Vinovision aufgegangen sind. Liebe Bordelaiser, mein Rat: Bleibt in Bordeaux, Termin Anfang Juni, veranstaltet die Messe jedes Jahr und schenkt Eurer Messe etwas mehr Liebe, dann kommen auch die Besucher aus aller Welt wieder. 

Hermann Pilz
Chefredakteur Weinwirtschaft
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