Ausgabe 10/2014

Vorsicht Falle!

Fairer Wettbewerb ist ein hohes Gut und wie die persönlichen Freiheitsrechte eng mit der Selbstbestimmung des Menschen verbunden. Wer Wettbewerb und Freiheit verteidigt, erwirbt sich ohne Frage Verdienste. Beide Rechte werden in jüngster Zeit über Gebühr strapaziert: Wettbewerbsschutz wird missbraucht, und die Freiheit, überall Online zu sein, schränkt die persönliche Freiheit ein. Die digitale Revolution dringt in alle Bereiche von Gesellschaft und Wirtschaft vor und löst nicht weniger heftige Erschütterungen aus als die blutigen Revolutionen früherer Jahrhunderte. Auch im Handel sorgt sie im Handumdrehen für neue Probleme und schafft es spielerisch, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen. Wen hat es früher gekümmert, wenn irgendwo in der Republik ein Weinhändler ein paar Bioweine in seinem Katalog feilgeboten und per Versand an die Kunden geliefert hat? Das galt als ganz normale Ware. Schließlich war der Wein auf Flaschen gezogen, fertig verpackt, richtig gekennzeichnet und, wenn es ehrlich zuging, auch von den einschlägigen Bio-Verbänden oder den Öko-Kontrollstellen überwacht und kontrolliert. Die Ware wurde gelagert und, wenn Bestellungen kamen, verkauft und geliefert. Bis die EU mit ihrem Hang zur Überregulierung dazwischen funkte. Bei der Abfassung der Regeln für den Handel mit Bio-Produkten ist sie definitiv übers Ziel hinaus geschossen. Jetzt muss jeder, der nicht wie am Gemüsestand die Bio-Kartoffeln in die Tüte packt, sich als Bio-Händler zertifizieren lassen. In der Praxis bedeutet das einen Haufen Papierkram, verbunden mit happigen Kosten und jährlichen Folgezertifzierungen. Im Endeffekt kommt dabei nicht viel mehr heraus, als ein Strich am Boden, der aufzeigt, wo die Bioweine lagern sollen, wie Händler versichern, die die Prozedur auf sich genommen haben. Es wäre ja noch zu verstehen, wenn für den Handel von Bio-Produkten besondere Anforderungen an die Logistik oder ein nachhaltiger Umgang mit Ressourcen gefordert würde, so aber erscheint sie als pure Schikane. Es muss doch einen Unterschied machen, ob jemand mit sensiblen Lebensmitteln handelt, für die zu Recht die Anforderungen hoch sind, oder ob abgepackte und im Fall von Bioweinen zertifizierte Fertigwaren verkauft werden. Verständlich sind die überzogenen Regeln der EU-Verordnung für den Handel mit Bio-Produkten nicht. Aber was soll’s, da muss der Handel durch. Bedenklich wird es allerdings, wenn solche Gesetze missbraucht werden und dreiste Glücksritter unter dem Mantel ehrbarer Wettbewerbsförderung versuchen, Honig zu saugen. Eine förmliche Industrie aus unsauberen Kaufleuten, Verbänden und Rechtsanwälten hat sich aufgemacht und eine neue Branche aus dem Boden gestampft: Die Abmahner. Oder soll man besser sagen: Nepper, Schlepper, Bauernfänger? Das Geschäft ist einträglich und verspricht für überschaubaren Aufwand höchste Rendite. Ein Serienbrief in zig-facher Ausfertigung spült leicht ein paar Zehntausend Euro in die Kasse der sich karnickelartig vermehrenden Juristenschar. Systematisch werden Webseiten durchforstet und mit dem Flohkamm auf kleinste Unstimmigkeiten und minimale Fehler durchsucht, für die dann eine Abmahnung mit Unterlassungsforderung inklusive saftiger Rechnung präsentiert wird. Die Fälle werden immer dreister. Die fehlende Bio-Zertifizierung, die mittlerweile vor dem OLG Hamburg gelandet ist, stellt nur die Spitze des Eisbergs dar. Bei alkoholischen Getränken sei jeder gewarnt, der gesundheitsbezogene Angaben, seien sie auch noch so harmlos, in seine Texte einfließen lässt, wie vor Kurzem ein Händler erfahren musste, der das Wort »bekömmlich « verwandt hatte. Ein nahezu unerschöpfliches Reservoir für Abmahnungen liefert auch die Preisangabenverordnung und neuerdings die Zutatenliste. Auch wenn ein Händler auf seiner Homepage alles richtig gemacht hat und lediglich übersah, dass auf verlinkten Webseiten oder in manchen Darstellungsformen die Grundpreisangabe gar nicht möglich ist oder erst auf Anklicken des Artikels erscheint, hat er schon mit einer Abmahnung und den unvermeidlichen finanziellen Folgen zu rechnen. Abmahnung ja, sie hat Berechtigung und soll den Wettbewerb schützen. Dreister Abzocke sollte jedoch ein Riegel vorgeschoben werden.

Hermann Pilz [email protected]