Ausgabe 09/2014

Orwell lässt grüßen

Es ist das heißeste Thema der Neuzeit: Nein, nicht die Krise in der Ukraine, nicht der Klimawandel, nicht die Stagnation der Weltwirtschaft und schon gar nicht die Verteilungs-Diskussion, der sich viele in Europa angesichts des demografischen Wandels hingeben. Es geht ans Eingemachte: Wie gestaltet sich das Leben in der Zukunft? Kein Geringerer als der Vorstandschef des Axel Springer Verlags, Mathias Döpfner, hat die Diskussion ins Rollen gebracht, die mittlerweile um die halbe Welt brandet. In einem offenen Brief an Google-Vorstand Eric Schmidt, warnte Döpfner vor der Macht und dem globalen Netzmonopol von Google und den Zukunftsvisionen seines Gründers Larry Page. Der Springer-Chef kritisiert die marktbeherrschende Stellung Googles, die das Unternehmen zur Förderung eigener Produkte und Interessen nutzt. Immer größere Anteile des Online-Werbemarktes greift der Monopolist ab und macht alle übrigen zu Statisten. Google sammelt Informationen über digital aktive Bürger, die selbst die apokalyptischen Visionen eines George Orwell in den Schatten stellen. Er warnt vor der Entstehung eines digitalen Suprastaates, der alles weiß und kontrolliert und seine Interessen daran auszurichten vermag. Zugleich übt Döpfner Kritik an der weiter um sich greifenden Gratis-Mentalität, der sich immer mehr der »Digital Natives« hingeben, die meinen im Internet und auf Online-Portalen müsse es alles gratis und franko geben: Suchdienste, Texte, Gedanken, Ideen oder intellektuelle Leistungen, für die man nie bezahlen muss. Auf kurze Sicht mag das funktionieren, aber langfristig werden Strukturen zerstört, auf denen eine Gesellschaft aufbaut: Leistung und Gegenleistung stimmen nicht mehr überein. Eine Horrorvision, wie amerikanische Wissenschaftler inzwischen warnen, die zu einer Gesellschaft führen könnte, in der die mächtig sind, die Computern sagen, was sie zu tun haben und alle anderen ohnmächtig erfüllen müssen, was ihnen die Computer befehlen; auf der einen Seite Macht und Reichtum und der anderen Abhängigkeit und Armut. Auch heute schon spielt sich vor diesem Hintergrund die Veränderung des Handels ab. Je mehr eine Warenkategorie standardisiert und lagerfähig ist, umso eher besteht die Gefahr, dass gewachsene Handelsstrukturen zerstört werden und Google oder Amazon das Regime übernehmen. Buchhandel und Plattenläden, unabhängige Spezialisten für Textilien, Haushaltswaren oder elektronische Artikel verschwinden aus den Innenstädten und werden auf einige wenige Monopolisten im Internet reduziert. Die Entwicklung der Stadtzentren spricht Bände. Auch vor dem Nahrungs- und Genussmittelbereich macht die Entwicklung nicht Halt, wie die laufende Veränderung und der Rückgang der Einkaufsstätten belegt. Glücklicherweise ist im Weinhandel, neben der wie in anderen Branchen fortlaufenden Konzentration auf weniger aber größere Betriebe, ein Trend zur Kombination stationärer und Internet-basierter Handelskonzepte zu beobachten. Oft beherbergen die Unternehmen der Weinbranche mehrere Handelsstufen unter einem Dach: Groß- und Einzelhandel zusammen mit Versand- und Online-Handel. Guter Wein will probiert sein und entzieht sich auf diese Weise stärker als viele andere Warenkategorien automatisiertem Kauf in Selbstbedienung. Es dürfte schwer sein angesichts dieser Bedingungen, dass sich ein Händler wie Amazon ein Monopol schaffen kann. Der Handel ist das Eine, die Medien sind das Andere. Auch die weinspezifische Medienbranche bleibt nicht unberührt von den Veränderungen. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern. Etliche Online-Portale und -Dienste stehen vor dem Aus oder wackeln bedenklich auf ihren brüchigen Fundamenten. Umsonst sind weder Zeitschriften noch Weinführer zu produzieren, wie aktuell die erstmals für 2015 von Gerhard Eichelmann erhobene Teilnahmegebühr für seinen Weinführer belegt. Immer mehr Service wollen die Leser bis hin zur digitalen App, die bequeme Service- und Suchfunktionen erlaubt. Das will finanziert sein und so sind Teilnahmegebühren, genauso wie Abonnentenbeiträge eine legitime Sache. Leistung und Gegenleistung müssen sich entsprechen. Andernfalls werden die Grundlagen für ehrliche Geschäfte untergraben, zum Schaden der Anbieter wie der Nutzer. Auch wenn die das erst viel später realisieren.

Hermann Pilz [email protected]