Ausgabe 08/2019

Ich liebe es

Titel WW8/19

Verona, 9. April 2019, morgens 10 Uhr, volles Programm, Sprachgewirr, die Stände schon dicht belagert. In der Veneto-Halle läuft eine Art Conferencier lautstark mit Mikro bewaffnet am Stand des Konsortiums zu Höchstform auf. Er verkündet, lockt, lacht und schreit die frohe Botschaft hinaus, dass das Veneto in Sachen Wein was zu bieten hat. Minister und Präsidenten geben sich ein Stelldichein. Polizisten aufgetakelt wie Zirkuspferde und die italienische Schärpe staatstragend über der Schulter von rechts oben nach links unten, ein Säbel im Halfter, gebärden Respekt.
Vor den Panini-Ständen in den Messegängen stehen die Menschen schon Schlange. Mir stets unbegreiflich, warum diese zwischen Grillplatten eingeklemmten Weißmehlteiglinge mit ein bisschen Prosciutto und Käse dazwischen derart beliebt sind, das reine Industriefutter. Beim ersten Bissen pappen sie oben und unten am Gaumen. Klar, dass man dazu was trinken muss und sei es ein Espresso. Es ist schließlich morgens. Und ich mittendrin, also alles beim Alten. Was trinkbar ist oder noch besser, was irgendwie blubbert, erregt die Gemüter der italienischen Weinliebhaber, die nie und ich wiederhole es, wirklich niemals alleine unterwegs sind. Es ist wie im Urlaub, erst das gemeinsame Erleben macht die Reise unterhaltsam. So sind auch die mehr als 100.000 Weinfreunde nur in Gruppen anzutreffen und unentwegt im Austausch ihrer Empfindungen und Entdeckungen. Die Lautstärke der Unterhaltung ist der Verständigung abträglich, was alle anderen nur die Urheber des Tumultes nicht im Geringsten zu stören scheint.
Man freut sich an- und übereinander und balgt sich mit den angereisten Einkäufern, Journalisten und der übrigen Entourage des italophilen Weinzirkus um die Plätze an den Ständen der rund 5.000 Aussteller. Und sonst? Die Geschäfte laufen, zumindest lässt das die aufgeräumte Stimmung der Aussteller erahnen. Der heimische Markt scheint zu florieren. Na, wenigstens was. In puncto Genuss ist auf die Italiener Verlass. Gastronomie und italienische Küche sind die Stützen für den Weinabsatz. Essen und Trinken werden zelebriert wie nirgendwo sonst. Die Preise sind moderat, sofern man sich nicht als teutonischer oder angelsächsischer Tourist in Kleidung und Sprache outet und die Karte in Englisch verlangt. Wer sich auskennt, speist und trinkt noch immer sensationell gut. Die Qualität der Lebensmittel ist Diskussionsthema für jung und alt. Leidenschaftlich wird über Speisen, Aromen und die Frische der Nahrung debattiert, auch wenn die Shrimps vor Madagaskar und der Fisch irgendwo im Atlantik gefangen wurden. Mozzarella wird aus Büffelmilch gemacht und das Bistecca alla Fiorentina stammt vom Chianina-Rind. Und sonst. Primitivo und Passito boomen, genauso wie Prosecco und Pinot Grigio ein Stoff für Ausländer ist. Die italienischen Produzenten machen aus der Sache das Beste und liefern, was verlangt wird. Sie buckeln ihren Kotau vor der industriellen Banalisierung. Zucker gehört für Italiener auf Süßspeisen und haben außer beim Dolce nichts im Wein zu suchen. Aber wenigstens fürs Auge wird was geboten. Die Italienerinnen sind hübsch wie immer und erdulden das Machogehabe der y-Gonosomen mit anmutiger Gelassenheit. Frau weiß halt, warum sie Italienerin ist. Das Fernsehen im Pressezentrum berichtet über einen Mord der Camorra in Neapel, und die EU weiß immer noch nicht, ob die Briten gehen oder bleiben. Gibt es eine verrücktere Welt? Aldi hat Plastiktüten verbreitet, die jetzt als Müll das Zentrum von Verona zieren. Ein paar Stunden weiter sehen wir klarer: die Engländer bleiben bis Herbst in der EU. Das lindert die aktuelle Not, die Party geht weiter. Auf Dauer ist das keine Lösung, aber wenigstens bricht jetzt der Frühling an, der sich an den Rebknospen bereits bemerkbar macht. Es ist der 9. April 2019, Frühling, der vierte Monat im Jahr. In fünf Monaten ist Herbst 2019, dann dürfen die Prosecco-Produzenten im DOC erstmals Rosé produzieren. Ganz offiziell.

Hermann Pilz
Chefredakteur Weinwirtschaft
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