Ausgabe 08/2014

Im Lauf der Zeit

Runde Geburtstage besitzen ihren eigenen Charme: Erlebtes und Versäumtes, der Rückblick auf vergangene und die Vorschau auf zukünftige Ereignisse mischen sich mit Freude und Trauer über Erfolge und Niederlagen. Nüchtern betrachtet sind Jubiläen, egal welcher Jahreszahl, natürlich vollkommen sinnlose Ereignisse. »Wir dürfen innehalten«, heißt es in den meisten Festansprachen und meint damit, dem Lauf der Welt ein Schnippchen schlagen zu können. Doch die Zeit kann man nicht stoppen. Und seit Einstein wissen wir zu allem Überdruss, dass auch die keine Konstante ist und an verschiedenen Orten unterschiedlich schnell vorüber geht. Sie läuft und läuft und vielen unter den Fingern dahin. Dennoch, so willkürlich die Zeit eines Jahres im astronomischen Maßstab ist, Jubiläen haben ihre menschliche Bedeutung, nicht nur im privaten auch im geschäftlichen Bereich. Dort stellt sich immer wieder die Frage, wie man ein solches Ereignis begehen oder noch viel häufiger, wie man es nutzen soll und kann. Eine interessante Variante bot dieser Tage die Firma Hawesko, die ihr 50-jähriges Jubiläum beging. 1964 von Peter Margaritoff gegründet, erblickte das Unternehmen das Licht der Welt in einer Garage, wie Hawesko-Chef Alexander Margaritoff anlässlich des Jubiläums in Hamburg zum Besten gab. 1981 war er in die väterliche Firma eingetreten und gelegentlich erinnert er sich, wie damals ein paar Kuchen, die er für die zwei Handvoll Mitarbeiter besorgt hatte, ausreichten, um das Team nach hartem Einsatz im Weihnachtsgeschäft bei Laune zu halten. Der Hawesko-Konzern ist mit seinen drei Geschäftsbereichen Versand-, Groß- und Einzelhandel einer der wichtigsten Weinanbieter in Deutschland und steht auf solidem Fundament. Das ist beileibe nicht selbstverständlich und dem unternehmerischen Geschick von Alexander Margaritoff und seiner Führungscrew zu verdanken. Nicht geradlinig, sondern über Um- und Seitenwege, verstand es Margaritoff aus verschiedenen Teilen einen strukturierten und effizient arbeitenden Konzern zu schaffen. Mit Stolz konnte Margaritoff anlässlich des Jubiläums verkünden, dass Hawesko auch in Zukunft ganz vorne mitspielt und heute der weltweit größte Internetanbieter von Wein ist. Das Ende der Fahnenstange ist noch lange nicht in Sicht, wie die zahlreichen Tests neuer Vertriebsformen im Online- wie im stationären Handel zeigen. Das Internet muss wohl auch die Inspiration für die Gestaltung der Jubiläumsfeier geliefert haben. Mehr noch, das ganze Jubiläum stand ganz offensichtlich unter der Idee, wie man die Öffentlichkeit abseits selbstbefriedigender Jubelfeiern erreichen kann. Wie kann man Adressen potenzieller Kunden gewinnen und was ist notwendig, oder wie verrückt muss eine Aktion sein, die in der heutigen skandalhungrigen Medienlandschaft noch Aufmerksamkeit erreicht? Gesagt getan, Hawesko versammelte zum Jubiläum am Hamburger Fischereihafen eine illustre Gästeschar inklusive fotogener Damenriege und ließ »awesome-people-like« ein ausgewachsenes Riva- Boot aus zartem Holzgerippe an einer 17 Meter hohen Champagner-Flasche zerschellen. »Die Rache des Champagners« gab der Aktion ihren Sinn und erinnerte in einer Art Retourkutsche an die vielen tausend Champagnerflaschen, die, von zarten Damenhänden geschwungen, krachend an stählernen Bordwänden zerplatzten. »Welch’ eine Vergeudung «, sinnierte Margaritoff und fand Unterstützung bei den Verantwortlichen aus dem Hause Vranken-Pommery. Der Aufwand war beträchtlich, wie später zu hören war. Zigtausendmal wurden Meldungen, Bilder und das dazugehörige Video aufgerufen und bescherten Hawesko eine Menge Kontakte zu potenziellen Kunden und ein schallendes Echo in der einschlägigen Publikumspresse von Bild bis Gala. War es das wert? Mit Sicherheit. Seit der Übernahme von Whatsapp durch Facebook wissen wir, dass die Adressen von 450 Mill. Nutzern 19 Mrd. Dollar wert sind. Das macht pro Adresse und Kontakt 42 Euro. Da kommt für Hawesko ein ganz schöner Gegenwert heraus. Auch wenn das nicht der alleinige Grund für die Aktion gewesen sein dürfte. Gar nicht auszudenken, was für einen Wert die gesammelten Daten der NSA besitzen, vermutlich unbezahlbar.

Hermann Pilz [email protected]