Ausgabe 06/2015

Neue Regeln nötig - Online-Handel ist die Zukunft, aber ein Großteil der Anbieter wird vom Markt ausgeschlossen

WEINWIRTSCHAFT Ausgabe 06/2015

Die ProWein gut überstanden? Viele waren trotz der einen oder anderen Schwächen, die ein solches Großereignis fast zwangsläufig mit sich bringt, begeistert von der Messe. Es war die professionellste und internationalste Ausgabe der ProWein in ihrer noch jungen Geschichte. Das fast unverdauliche Gegenstück bot im Abstand von vier Tagen die Vinitaly, die sich wieder als ein Weinfestival für lebenslustige Italiener positionierte. Aber was soll’s? Wen stören ein paar Fachbesucher, wenn alle soviel Spaß haben? Die Messe denkt ans Geld, und das schneit es offenbar reichlich nieder.

Die Zukunft tickt jedoch ganz woanders, und die konnte man am Vortag der ProWein auf der MEININGER’S INTERNATIONAL WINE CONFERENCE erleben. Nun will ich mir nicht selbst und dem Verlag schmeicheln, aber auf der Konferenz präsentierten erstklassige Referenten aktuelle Informationen über den Internet-basierten Online-Handel, die es lohnten, dabei gewesen zu sein. Der Online-Handel wird in Zukunft ganz entscheidend auf alle Lebensbereiche und natürlich auch auf die Produktion und den Handel mit Wein Einfluss haben. Auch wenn nichts wirklich sicher ist, klar ist, dass alle heutigen Strukturen zur Disposition stehen.

Doch woher kommt die Sicherheit, dass der Online-Handel in Zukunft einen solchen Stellenwert haben wird? Wenn viele Ältere noch immer meinen, dass das Internet etwas mit dem PC zuhause in den eigenen vier Wänden oder am Arbeitsplatz zu tun hat, dann irren sie gewaltig. Die Nutzung mobiler Endgeräte nimmt rasant zu. Die Generation der »Digital Natives«, die schon als Vorschulkinder wie selbstverständlich mit Smartphones aufwachsen und damit den ganzen Tag wie mit einer Nabelschnur verbunden bleiben, tätigt heute schon zwei Drittel ihrer Einkäufe über mobile, jederzeit verfügbare Online-Dienste. Mit jeder nachfolgenden Generation steigt die Nutzung rasant, wie zwei der Key-Speaker, Dr. Kai Hudetz vom IFH, Köln, und Prof. Dr. Gerrit Heinemann, Hochschule Niederrhein, als ausgewiesene Experten des Online-Handels eindrucksvoll belegen konnten. Noch eine Zahl, die bei allen Fantasie und zugleich Furcht wecken muss, was die Zukunft bringt: Das KADEWE als vielleicht größter deutscher Einkaufstempel bietet die gewaltige Zahl von etwa 600.000 Artikeln. Das ist viel und doch gar nichts im Vergleich zu Amazon, das eine Auswahl von derzeit rund 60 Mill. Artikeln den Interessenten offeriert. Noch Fragen, wo die Zukunft liegt?

Die traditionellen Kunden, die bisher in die Innenstädte oder Fachmärkte pilgerten, für den Kauf eines Produktes drei Läden aufsuchten, dreimal die gleichen Fragen stellten, dreimal Kategorien und Produkte inklusive Preise verglichen, sterben aus. Das erledigen die »Digital Natives« mit ein paar Klicks. Natürlich entschwinden zukünftige Generationen nicht ins virtuelle Nirwana und erscheinen irgendwann körperlich vor uns, auch wenn der italienische Schriftsteller Michele Serra mit seinem Roman »Die Liegenden« unterhaltsam und emotional zugleich die Schwierigkeiten skizzierte, wie schwer es mitunter fallen kann, die Heranwachsenden in Bewegung zu versetzen. Am einfachsten fällt es den Großkonzernen an die Jugend und ihre begehrten Daten heranzukommen. Eine Flatrate genügt, und sie geben alles, aber auch wirklich alles preis. Das ist dann auch der Pferdefuß des Onlinehandels. Das große Geld sahnen die Konzerne und Datensammler allen voran Google, Facebook, Amazon und Co. ab. Wie eine Spinne haben sie sich ins Netz gesetzt und warten darauf, bis das nächste Opfer angeflattert kommt. Opfer, das sind die Firmen, die ihren Obolus abdrücken müssen, um in den Rankings ganz oben zu erscheinen. Wer nicht mitspielt und nicht zahlt, fliegt raus. So faszinierende Welten und Möglichkeiten das mobile Internet in Zukunft eröffnet und viel Fantasien für verknüpfte Multi-Channel-Lösungen weckt, die Spielregeln für einen fairen Wettbewerb müssen erst noch geschrieben werden. Die Allgemeinheit und damit der Staat sind in der Pflicht, sonst wird Orwells Horrorvision schneller Wirklichkeit, als vielen lieb ist.

Hermann Pilz [email protected]