Ausgabe 05/2017

Sequestriert ins Abseits?

WEINWIRTSCHAFT Ausgabe 05/2017

Sequester ist wahrlich kein Wort des alltäglichen Sprachgebrauchs. Ein Blick in diverse Lexika verortet den Begriff in der Medizin, in der Wirtschaft und der Juristerei. In der Medizin bezeichnet er ein Stück abgestorbenes Gewebe, meist im Zusammenhang mit den Folgen eines Bandscheibenvorfalls oder eines Knochenbruchs. Klingt scheußlich und tut vermutlich auch höllisch weh. In der Wirtschaft wird er für die Sicherstellung oder Verwahrung von Vermögensgegenständen, Unternehmen oder Grundstücken verwendet. Auch das dürfte mitunter schmerzhaft sein, wie derzeit Herr Schlecker hautnah erfährt. Zu guter Letzt gibt es den Gebrauch im Staatsrecht, wenn Länder oder Völker eines Staates Flächen im anderen besitzen: abgekapselte Ländereien, will man den Begriff wörtlich nehmen. Schwer verdaulich, was das Wort uns zumutet.

Doch warum geistert seit geraumer Zeit das Wort »Sequesterlagen« oder Sequesterland durch deutsche Amtsstuben? Und wieso gibt’s sowas überhaupt noch, wird man sich fragen, wo doch neuerdings alle Länder so um ihre Grenzen besorgt sind, die Schotten dicht machen und selbst die mächtigen USA sich mit einem Zaun vorm Nachbarn im Süden abgrenzen wollen? Mauern über Mauern, die in den Köpfen beginnen. Vielleicht haben die Mexikaner ja noch alte Rechte im Norden und nehmen nun einen Teil von Texas oder Kalifornien als Sequesterland in Beschlag?

An der Grenze zwischen Frankreich und Deutschland sollte eigentlich alles klar sein. Doch weit gefehlt. Am letzten Zipfel der Pfalz, in Schweigen, dort wo Gauleiter Bürkel im Dritten Reich das »Deutsche Weintor« in Großmannssucht zur Förderung des Weintourismus errichten ließ, liegt zu Füßen des Turmbaus das Sequesterland, beste Weinbergslagen mit Potenzial. Mit der Grenze hatten die fröhlichen Winzer Schweigens indes nicht viel im Sinn, denn seit Urzeiten besitzen und bewirtschaften sie ihre Weinberge hüben und drüben der Zäune und sind deswegen Spielball der Völkergeschichte zwischen Maginot-Line und Westwall. Immer wieder in der Geschichte mussten sie Häuser und Besitz räumen. Wäre die Landschaft nicht sprichwörtlich die Toskana Deutschlands, man könnte verstehen, wenn sie endgültig Lebewohl gesagt hätten. Vielleicht um nach Amerika auszuwandern, wohin es so manchen Pfälzer verschlagen hat. Doch nun sind sie da, die Weine des Schweigener Sequesterlands und niemand weiß so richtig, wie sie heißen sollen. Das deutsche Weinrecht enthält, und wie Weinjuristen vermuten heute am EU-Recht vorbei, die Erlaubnis, die geernteten Trauben aus »grenznahen« Flächen unter »behördlich genehmigten Bezeichnungen« zu vermarkten. Davon macht mancher Winzer Gebrauch und vermarktet seine Weine unter dem Namen der angrenzenden Lage Schweigener Sonnenberg. Das geltende EU-Recht sieht andere Regelungen vor. Eigentlich müsste die Bezeichnung lauten: »Wein gewonnen in Deutschland aus in Frankreich geernteten Trauben« oder so ähnlich. Wie unschön und flugs bekommt das Problem an der Grenze Österreichs zu Slowenien und wer weiß, wo sonst noch, europäische Dimensionen.

Die Top-Winzer Schweigens, und daran entzündet sich der inzwischen mehrjährige Streit, wollen ihre besten Weine mit den hübschen Namen der tatsächlichen Gewanne vermarkten. Die besitzen Klang und Geschichte und heißen Sankt Paul, Kammerberg oder Rädling. Nur da machen Behörden und Politiker nicht mehr mit. Weine aus Gewannlagen auf französischem Staatsgebiet sollen als deutsche Spitzenweine vermarktet werden? Das deutsche Lagensystem, durch die Aktivitäten des Verbands Deutscher Prädikats- und Qualitätsweingüter eh in Auflösung begriffen, erweist sich ein ums andere Mal als Problemfall.

Wer im Kopf keine Mauern hat, nicht in weinrechtlichen Kapriolen gefangen und klar bei Verstand ist, kann kaum glauben, dass sich in einem friedlichen, vereinten und grenzenlosen Europa keine Regelungen finden lassen, damit auch an künstlichen Grenzen gute Weine zutreffende Bezeichnungen besitzen. Mein Rat: Man sollte miteinander reden.

Hermann Pilz
Chefredakteur WEINWIRTSCHAFT
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