Ausgabe 04/2016

Alles hat seinen Preis

Wer nur auf den Preis schaut, wird Opfer der eigenen Gier. Die Klage über einen ruinösen Wettbewerb nimmt zu.

Es gibt kaum etwas auf dieser Welt, das nicht jemand ein wenig schlechter machen und etwas billiger verkaufen könnte. Und die Menschen, die sich nur am Preis orientieren, werden die gerechte Beute solcher Machenschaften«. Die Zeilen wurden schon oft zitiert. Sie stammen von John Ruskin, einem englischen Sozialreformer, der diese Gedanken bereits vor eineinhalb Jahrhunderten formulierte, lange bevor es Preisschlachten der Discounter oder den Preisvergleich per Mausklick im Internet gab. Durch das Internet muss man den Gedanken heute noch etwas weiter fassen, denn mittlerweile wird nicht nur der vermeintliche Käufer und Schnäppchenjäger Beute solcher Machenschaften. Auch viele Erzeuger und Händler werden ihrer Existenz beraubt, die versuchen, sich rechtschaffen am Markt zu behaupten.

Auf den ersten Blick sehen Billigofferten harmlos aus und entbehren auch nicht ökonomischer Logik: Ein Produzent bietet eine vergleichbare oder sogar identische Ware zum günstigeren Preis an. Nichts Verwerfliches, wenn es sich um Ware mit gleichen Eigenschaften handelt, sich der Verkäufer mit weniger Gewinn zufrieden gibt, Restanten zu Geld machen will oder einen niedrigeren Preis machen kann, da er seine Kosten besser im Griff hat. So schön das klingt, in der Realität erweisen sich solche Offerten in den meisten Fällen als dreiste Lügen: Rabatte im zweistellige Prozentbereich, Aussagen wie »wir schenken Ihnen die Mehrwertsteuer« oder »nutzen Sie unsere Nullprozentfinanzierung« kann doch wahrlich niemand mehr ernst nehmen? Wie romantisch doch die Vorstellung, dass die Discounter die barmherzigen Ritter unter den Händlern sind, die lediglich Markenware unter anderem Namen günstiger verkaufen – vielleicht weil sich der Produzent sonst schämen müsste. Große Mengen brächten einen Vorteil im Einkauf, suggerieren sie den Kunden seit Jahrzehnten. Nichts von alledem stimmt. Die Waren werden eigens von Nachahmern produziert. Und selbst wenn ein Markenproduzent dahinter steckt, kann er auf lange Sicht nicht unter Wert produzieren. Muss er es billiger verkaufen, da die Händler ihre Marktmacht ausspielen, verliert er Geld und ruiniert über kurz oder lang seine Existenz. Also macht er es allenfalls schlechter. Die aktuelle Entwicklung des Prosecco Frizzante zeigt überdeutlich, welches Spiel hinter den Kulissen abläuft und wie wenig die Mär von den barmherzigen Lebensmittelhändlern stimmt, die erst einknicken, wenn gar nichts anderes mehr geht und erst jetzt den Eckpreis für den frischen Prickler aus dem Veneto auf 2,49 Euro hievten.

Billigere, dafür schlechtere Ware, das ist die eine »verlogene« Seite des Handels, die andere ist perfider und noch um einiges ruinöser. Im Internet geht es nur noch um Preise, da hier noch viel weniger überprüft werden kann, wie reell ein Angebot ist, welche Mengen vorrätig sind oder ob der Anbieter überhaupt liefern kann. Die Billigofferten aus dem anonymen Raum verderben die Preise, zumal sie das einzige Marketinginstrument zu sein scheinen, dessen sich die Händler noch bedienen. Das hat Folgen: Die Verbraucher werden auch bei Wein, Sekt und Champagner an Rabatte und Streichpreise gewöhnt, denen utopische Vergleichspreise zugrunde liegen. Das ganze Preisgefüge rutscht nach unten und ruiniert über kurz oder lang die Existenz zuerst der Weinhändler, später der Produzenten. Übrig bleibt billige Massenware und eine völlig verunsicherte Kundschaft. Die wartet inzwischen auch bei höherwertigen Weinen mit zäher Beharrlichkeit auf Rabatte und Prozente. Die Umerziehung der Konsumenten scheint perfekt, es zählt nur noch das Schnäppchen. Die Schuld tragen in diesem Fall die Produzenten, die in der Mehrzahl weder ein Vertriebs- noch ein Preiskonzept haben. Bedenkenlos wird überall und an jeden verkauft. Erst wenn sie selbst massiv mit ihren Billigpreisen konfrontiert werden, beginnt das Lamentieren. Man kann es nicht oft genug sagen: Wer seine Preise nicht im Griff hat und nicht weiß, wer, wo und zu welchem Preis seine Weine verkauft, verliert über kurz oder lang die Existenz. Die nächste ProWein sollte jeder Händler als Gelegenheit nutzen, mit seinen Lieferanten Klartext zu reden.

Hermann Pilz [email protected]