Ausgabe 03/2019

Mut zur Nische
Titel WW 3/2019

Beim groben Blick auf diese Ausgabe könnte der Eindruck entstehen, die WEINWIRTSCHAFT widme dem Thema Biowein viel zu viel Raum. Ein genauso grober Blick auf alle Ausgaben eines Jahres, kombiniert mit genauen Blicken in die Artikel zu Biowein-Anbau und Biowein-Handel in der Ausgabe, die Sie gerade in Ihren Händen halten, ergibt ein anderes Bild. 

Biowein wird auf über 7 Prozent der deutschen Rebfläche produziert. In Spanien, Italien und Frankreich liegt der Anteil schon im zweistelligen Bereich. Der deutsche Handel setzte 2017 mehr als 10 Mrd. Euro mit Bio-Produkten um. Vielleicht widmen wir uns dem Thema Biowein sogar noch zu wenig, denn die Zahlen zeigen, dass Biowein längst der Nische entwachsen ist.

Wer frühzeitig auf die kleine Nische Biowein gesetzt hat und sich nicht von den Rufen der Nachbarn, was für ein realitätsferner Spinner man doch sei, stören ließ, profitiert jetzt davon, dass Bio heute mehr ist als ein Trend. Von seinen allzu konventionellen Nachbarn wird der ein oder andere derweil aufgegeben haben. 

Die Historie der erfolgreichen deutschen Weinerzeuger zeigt, dass nahezu alle den Mut hatten, neue Wege zu gehen und konventionelle Pfade zu verlassen. Das beschränkt sich nicht auf Biowein. Auch wer neue Wege im Vertrieb oder im Keller ging, wurde anfangs ausgelacht. Sicher, mancher dieser Wege war auch tatsächlich ein Irrweg – aber nur wer bereit ist Neues zu wagen, wird auf Dauer Erfolg haben.

Wer schon eine gute Position hat, kann es sich leisten, sich graduell anzupassen. Wer erst in eine gute Position kommen muss, sollte sich überlegen, ob nicht der Gang in die Nische ein Erfolgsweg sein kann. In unserem Artikel über Südafrika ab Seite 14 offenbart sich eine Weinbranche, die das verinnerlicht hat. Junge Winemaker, die früh den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt haben, wagen auch bei ihren Weinen viel und sprechen in der Vermarktung eine andere Sprache als bisherige Generationen.

Auch das Perlwein-Segment (s. Seite 50) kennt solche Erfolgsgeschichten. Was sich die Macher von »Fritz Müller« wohl anhören mussten, als sie von ihrer Idee erzählten, einen deutschen Perlwein auf den Markt zu bringen, wo doch jeder wusste, dass dieses Marktsegment vollständig in Händen des Prosecco Frizzante steht und dass an diesem kein Weg vorbei führt? Es braucht Mut, sich gegen Bedenkenträger zu stellen. Bei Fritz Müller hat sich dieser Mut im Produkt von der Rebsorte Müller-Thurgau bis zur Ausstattung gezeigt. Der Markt hat diesen Mut zur Nische belohnt. Mutige Konzepte kommen an. Die Weinbranche pflegt ihre Traditionen und Mythen wie nur ganz wenige. Wer etwas Neues wagt, kann sich der Aufmerksamkeit gewiss sein. 

Neues gewagt hat vor 25 Jahren auch die ProWein. Während wir ab Seite 46 mit dem Zählen des Countdowns auf die Leitmesse der Weinbranche beginnen, werfen wir auch einen Blick zurück auf die Anfänge. Damals war die ProWein noch überschaubar. Heute fällt es leicht, sich zwischen den Tausenden Ständen zu verlieren. Als Aussteller fällt es dagegen schwer, sich aus dieser Masse hervorzuheben. Mutige Konzepte werden von den Besuchern zumindest mit Aufmerksamkeit belohnt. Wenn dann Produkt und Konditionen Anklang finden, lässt sich die Messe erfolgreich gestalten.

Die Kopie von Erfolgskonzepten mag als sicherer Weg erscheinen, nichts falsch zu machen. Er garantiert aber keineswegs Erfolg. Mutig ist, wer den Gang in die Nische wagt, von der er überzeugt ist – so wie die Bio-Pioniere, vor deren Mut und deren Durchhaltevermögen ich den Hut ziehe. Auch die WEINWIRTSCHAFT wagt mit dieser Ausgabe Neues. Seit dem 1. Februar verstärkt Miguel Zamorano unsere Redaktion und wird Sie künftig unter seinem Kürzel mz über Neuigkeiten aus der Weinbranche informieren.

Clemens Gerke

Redaktion Weinwirtschaft

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