Ausgabe 02/2016

Irrsinn nach Plan - Kosten mit denen keiner gerechnet hat? Das neue Pflanzrechtesystem verschlingt über 50 Mill. Euro

Weinwirtschaft Ausgabe 02/2016

Angesichts der großen Probleme, die täglich in der Öffentlichkeit ausgebreitet werden und jedem halbwegs vernünftigen Menschen schlaflose Nächte bereiten, sind die kleinen und großen Irrungen und Wirrungen in der Weinbranche niedliche Petitessen oder Randnotizen der Weltgeschichte. Dennoch sind sie ab und an nicht weniger ärgerlich und belegen, dass gut gemeint noch lange nicht gut gemacht bedeutet. Als großes Verdienst rechnen sich die Weinbauverbände in Europa an, dass sie die Liberalisierung des Pflanzrechtesystems erfolgreich verhindert haben. Statt den Irrsinn mit einem Federstrich ein für alle Mal zu beseitigen, wurde mit vereinten Kräften von EU-Kommission, Europäischem Parlament sowie Länder- und Regionalparlamenten der Mitgliedsstaaten die komplizierteste aller Regelungen gefunden, wie möglichst wenig Fläche auf eine möglichst große Zahl von Antragstellern auf möglichst ineffiziente Weise verteilt werden kann. Ein Schildbürgerstreich der Extra-Klasse.

Dass eine solche Regelung natürlich horrende Kosten verursachen wird, musste eigentlich allen Beteiligten schon im Vorhinein klar gewesen sein. Ein erster Fingerzeig, welche Kosten, in welcher Höhe entstehen, lieferte jetzt die Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz. Anlässlich ihrer Vollversammlung führte der umtriebige Präsident Norbert Schindler wortreich Klage, mit welchen Kosten Kammer und Winzer belastet werden.

Der Hintergrund: Über Jahre entwickelte sich die Kammer zu einem Staat im Staate und übernahm immer mehr Aufgaben von Landwirtschafts- und Weinbauämtern. Die reichen von der Antragsstellung für die allfälligen Zuschüsse und Subventionen mit Landwirtschaft und Weinbau über die Qualitätsweinprüfung und Erteilung der Prüfbescheide sowie einer Vielzahl weiterer Aufgaben bis zur Verwaltung des neuen Pflanzrechtesystems. Die Kammer wurde mit der Abwicklung von Seiten des Landes beauftragt und erhielt die Zusage der zuständigen Ministerin, dass die entstehenden Kosten für Personal- und Sachleistungen übernommen werden. Sechs neue Stellen sind erforderlich, wie der Präsident verlauten ließ, für die das hochverschuldete Land pro Jahr 250.000 Euro berappen muss. Weitere 200.000 Euro sind dieses Jahr noch für die Aufrüstung der EDV erforderlich. Alles in allem macht das für die theoretisch rund 200 Hektar, die es in Rheinland-Pfalz im ersten Jahr des neuen Pflanzrechtesystems zu verteilen gibt, und die Bearbeitung der Wiederbepflanzungsanträge, stattliche 450.000 Euro, die natürlich nicht vom Staat, sondern im Endeffekt von den Steuerzahlern getragen werden. Eigentlich ein klarer Fall für den Rechnungshof.

Die Landwirtschafskammer ist glücklicherweise nicht für Schlendrian bekannt, und so darf man davon ausgehen, dass auch alle anderen Länder und weinbautreibenden Mitgliedsstaaten entsprechendes Personal werden einstellen müssen, um die Aufgaben zu bewältigen. Auf die EU-Rebfläche von derzeit 3,3 Mill. Hektar hochgerechnet, kann man mit Kosten allein auf der Ebene der Selbstverwaltung im Jahr eins der neuen Regelung von über 23 Mill. Euro kalkulieren.

Darin sind Kosten für Institutionen wie das Bundesamt für Landwirtschaft und Ernährung, das in Deutschland für die eigentlichen Genehmigungen zuständig ist, geschweige denn die Kosten der beteiligten EU-Behörden noch gar nicht berücksichtigt. Vermutlich werden die Kosten der neuen Rebflächen-Verteilung EU-weit bei über 50 Mill. Euro pro Jahr liegen. Um zu ermitteln, welchen volkswirtschaftlichen Schaden die Regelung verursacht, müssten korrekterweise noch die Kosten der Antragsteller hinzugerechnet werden. Gespannt darf man sein, wie das neue Verfahren in chronisch klammen Ländern im Süden Europas umgesetzt wird.

Über eines kann man sich bereits heute sicher sein: Die Griechen werden froh sein, dass mit einer solchen Maßnahme berechtigte Hoffnungen bestehen, die öffentliche Verwaltung wieder etwas aufzublähen. Aber vielleicht entsendet Deutschland ja mal seine Verwaltungsexperten, das wäre dann mal eine echte Hilfe.

Hermann Pilz [email protected]