Ausgabe 01/2016

Hundert Vorbilder - Restsüße Rotweine und Distributionsmarken. Sieht so die Zukunft des Weinfachhandels aus?
Weinwirtschaft Ausgabe 01/2016

Bestenlisten haben zum Jahreswechsel Hochkonjunktur. Die Jahrescharts in der Musik, die Sportler des Jahres, die Menschen des Jahres. Es gehört einfach dazu, einen letzten Blick zurückzuwerfen, ehe man sich den kommenden Herausforderungen stellt. Auch WEINWIRTSCHAFT gehört mit den 100 Weinen des Jahres traditionell zum Kreis dieser Chronisten.

Für die Produzenten – ob Weingut, Kellerei oder Genossenschaft – und ihre Vertriebspartner ist es eine Bestätigung und Anerkennung der geleisteten Arbeit, wenn einer ihrer Weine auf der Liste der 100 Weine des Jahres geführt wird. Immerhin ist die Rede von einem Weinmarktvolumen von rund 20 Mill. Hektolitern Wein – Schaumwein inklusive –, das unter zigtausend unterschiedlichen Etiketten über verschiedenste Vertriebswege vermarktet wird. Die 100 Weine des Jahres verstehen wir als ein buntes Mosaik dessen, was 2015 den deutschen Markt substanziell bereichert hat.

Was dem einen oder anderen Leser beim flüchtigen Blick als willkürliche Zusammenstellung erscheinen mag, ist alles andere als das. Über viele Jahre haben wir an der Feinjustierung der Bewertungskriterien gefeilt. Für ein gewisses Maß an Subjektivität sorgt die Verkostung der Weine, die als ein wesentlicher Bestandteil zur Gesamtbewertung beiträgt. Doch die Liste der 100 Weine basiert bekanntlich nicht allein auf der Qualität des Weines, so wie sie sich in unseren Augen darstellt. Berücksichtigt werden auch die Marktbedeutung, gemessen im 2015 erzielten Absatzvolumen auf dem deutschen Markt, und das Preis-Genuss-Verhältnis, das über einen Algorithmus die Qualität des Weins in Relation zum Preis setzt. Preiswert und billig sind nunmal zwei paar Schuhe. Über die Jahre zeigt sich, dass ein Wein, der nicht mindestens als sehr gut bewertet wird, augedrückt in 85 Punkten aufwärts, kaum eine Chance hat, den Sprung unter die 100 Weine des Jahres zu schaffen. Ganz gleich, wie billig er ist oder wie groß die abgesetzte Menge ist. Umgekehrt können aber auch 89 Punkte nicht ausreichen, wenn gewisse Preisschwellen überschritten werden. Von einem Wein, der 25 Euro kostet, darf der Kunde den einen oder anderen Punkt mehr erwarten.

Besonders spannend wird’s, wenn die Punktzahlen der verschiedenen Kriterien addiert werden. Stichwort Überraschungen. Nur etwas mehr als ein Drittel der 100 Weine aus 2014 sind auch 2015 wieder gelistet. Liest man die Namen und Marken der 100 Weine, überrascht diese Fluktuation, denn vieles klingt vertraut. Das liegt natürlich an der großen Vielfalt des Angebots. Erstklassige Weine gibt es heute in allen Anbaugebieten und Herkunftsländern. Die Vorgabe, dass mindestens 10.000 Flaschen dieses Weins in Deutschland verkauft werden müssen, begrenzt den Pool an aussichtsreichen Kandidaten jedoch auf rund 1.000 Weine. Stichwort Trends. Vieles, was im Lauf eines Jahres bei Gesprächen mit Winzern, Importeuren, Einkäufern oder Fachhändlern immer mal wieder als Thema auftaucht, wird bei der Verkostung der Weine des Jahres noch einmal in aller Deutlichkeit unterstrichen. Der Jahrgangscharakter etwa, der mal der einen, mal der anderen Region einen Vorteil verschafft. Spätestens, wenn der Tisch mit den Rotweinen aus dem Süden Italiens in Angriff genommen wird, ist ein Megatrend des Weinmarktes nicht mehr zu übersehen. Die Semi-Sweet-Ripasso-Style-Welle scheint sich wie Sirup über die Geschmacksknospen der Republik zu legen. In abgemilderter Form ist dies auch in Spanien zu beobachten. Kein Problem, wenn es sich um irgendeinen Vino Tinto aus Zentralspanien handelt. Wenn aber Weine namhafter DO-Gebiete für den deutschen Markt nachgesüßt werden, fliegen alle Sicherungen raus. Passt halt prima zu Chips und Co. auf der Couch. Der zweite Trend sind höherwertige Distributionsmarken. Im Preiseinstieg des LEH schon lange Usus, setzen nun auch einige Distributeure immer stärker auf eigene, hochwertig ausgestattete Kreationen. Der Erzeuger verschwindet im Kleingedruckten. Sieht oft ziemlich authentisch aus, ist es aber leider nicht immer. Die 100 Weine des Jahres haben eine andere Botschaft.

Sascha Speicher [email protected]