Foto: Ralf Ziegler/AdLumina
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Stefan Nink über die Strapazen eines Elf-Stunden-Flugs

Neulich im Flugzeug träumte ich von einem Boot Camp in Asien. Warum ich dort war, wusste ich nicht, wohl aber, wozu: Zusammen mit anderen Teilnehmern musste ich herumrennen, Klimmzüge machen und über Hindernisse klettern. Überwacht wurde alles von einer Gruppe Aufseher, die sich immer wieder aus dem Nichts materialisierten und auf uns einbrüllten. Auch sonst war der Traum sehr intensiv, ich konnte das Schnaufen und Keuchen der anderen hören und sogar ihren Atem spüren, der bei jedem ihrer Sit-ups kurz über mein Gesicht huschte.

Zum Glück ist es bei schlimmen Träumen ja oft so, dass man aufwacht, wenn es ganz kritisch wird. Das tat ich auch – um festzustellen, dass die Wirklichkeit noch schlimmer war als mein Traum. Unmittelbar vor meinem Gesicht hing der Kopf des alten Mannes vom Sitz auf der anderen Gangseite. Er machte Liegestütze, wobei er quer über den Gang hing und seine Hände auf meiner Seitenlehne hatte. Er keuchte vor Anstrengung über meinem Schoß. Dass ich jetzt wach war, schien ihn nicht im Mindesten zu irritieren.

Die koreanischen Rentner waren mir schon beim Einsteigen in Seoul aufgefallen. Was vor allem daran lag, dass ausschließlich koreanische Rentner auf diesem ausgebuchten Flug waren. Und ich. Die Senioren begaben sich offenbar auf große Europafahrt. Sie wurden von etlichen Reiseleitern im ebenfalls fortgeschrittenen Alter betreut, die bis unmittelbar vor dem Start durch die Kabine liefen und ihren offenbar durch die Bank schwerhörigen Schützlingen Informationen zubrüllten. Unmittelbar nach dem Start erschienen sie wie aus dem Nichts ein weiteres Mal zum Brüllen. Meine Hoffnung, ältere Flugpassagiere würden während eines Elf-Stunden-Flugs sicherlich schnell ein- und dann sehr lange schlafen, erwies sich als reichlich naiv. Es schlief niemand.

Im Gegenteil: Alles war ständig auf den Beinen. Alte Großmütterchen schlurften ruhelos über die engen Gänge. Andere stemmten sich an den Armlehnen hoch und ließen sich keuchend zurück in die Sitze fallen. Auf der freien Fläche vor den Toiletten hämmerten sich etliche Seniorinnen gegenseitig mit kleinen, aber wahrscheinlich äußerst kräftigen Fäusten die Wirbelsäulen rauf und runter. Und die Reiseleiter brüllten ständig irgendwas durch das Flugzeug, wahrscheinlich warnten sie vor Thrombosen und anderen gesundheitlichen Gefahren von Langstreckenflügen.

Als das Ehepaar auf den Sitzen neben mir damit begann, sich mit hölzernen Sternengebilden die Fußsohlen zu massieren, bestellte ich nacheinander drei Gläser Rotwein. Irgendwann danach muss ich eingeschlafen sein. Irgendwann war ich im Boot Camp. Irgendwann wachte ich auf.

Der Mann von der anderen Seite des Ganges machte weiter seine Liegestütze. Über meinem Sitz. Er zog sich erst zurück, als ich die Rückenlehne nach vorne klappte und den kleinen Monitor vor mir anschaltete. Es erschien ein Video der Airline, in dem Mitglieder der Crew fröhlich lächelnd Gymnastikübungen erklärten, mit denen man sich während des Fluges fit halten konnte.

Als wir eine Ewigkeit später landeten, drängelten, schubsten und quetschten sich 340 quicklebendige koreanische Senioren Richtung Ausgang. Anschließend rannten sie schnatternd Richtung Gepäckausgabe. Hinter ihnen schlich der einzige Fluggast unter siebzig und überlegte, ob er Ibuprofen im Koffer hatte. Gegen die Nacken- und Rückenschmerzen vom langen Sitzen.

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Ausgabe 03/2024

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