Foto: Ralf Ziegler / AdLumina
Foto: Ralf Ziegler / AdLumina

Stefan Nink wartet auf den Abschlag

An Loch sieben staut es sich, und wieder sind die Spieler vor uns Schuld. Chinesische Touristen scheinen das dringende Bedürfnis zu haben, jeden Moment ihres Urlaubs fotografisch festhalten zu müssen. Auch auf dem Golfplatz muss jeder noch so kleine Triumph dokumentiert werden. So wie jetzt: Als dann endlich alle ihren Ball versenkt haben, werden Gruppenfotos gemacht. Von jedem Spieler. Aber nicht etwa mit dem Smartphone, sondern mit einer richtigen Kamera. Die jeder Spieler natürlich zuerst noch aus dem Golfcart holen muss.

So ein Golfplatz in den kanadischen Rocky Mountains ist natürlich wunderschön. Man spielt hier tatsächlich vor einer Postkartenkulisse, die Berge gleich hinter der Anlage sehen aus wie an den Horizont gemalt. Und um den Platz herum ist überall dichter Wald, und genau der ist auch der Grund, warum ich bei jeder Zwangspause immer nervöser werde. Vor der Runde hat mir der Barkeeper im Clubhaus nämlich verraten, dass es um den Platz herum keinen Zaun gibt. Und dass ab und zu Bären aus dem Wald kommen. Schwarzbären meistens, aber manchmal auch ein großer Grizzly. Und dann? Dann bricht man die Runde besser ab, hat er gesagt und das Glas Chardonnay aufgefüllt. Na fein. Wahrscheinlich sind die Golfplätze in den Rockies neben dem im Kruger Nationalpark die wohl einzigen, auf denen man aufgefressen werden kann, wenn’s schiefläuft.

Deswegen sollen die da vorne jetzt mal endlich weitermachen. Die Chinesen sind gerade vom Grün, als sich das Dickicht hinter ihnen teilt und aus dem Wald – nein, kein Bär – ein Hirsch auf den Platz kommt. Ein Wapiti, 200 Kilo schwer, ein Koloss, das Geweih ist mindestens einen Meter hoch. Noch eindrucksvoller aber ist das Geräusch, das der Bulle beim Betreten des Rasens von sich gibt: Von tief drinnen scheint dieses Röhren zu kommen, immer weiter schwillt es an, und als er irgendwann keine Luft mehr hat, endet das alles in einem wolfsähnlichen Heulen. Jeder halbwegs vernünftige Mensch erstarrt bei so einem Auftritt und hofft, dass man auf den letzten Metern nichts getan hat, was den brunftigen Riesen da vorne irgendwie auf die Idee gebracht hat, man wolle etwas von ihm. Seine Weibchen, sein Revier, seinen Platz in der Hierarchie aller Golfplatzhirsche. Die Chinesen sehen das anders. Sie sind vollkommen begeistert, nehmen ihre Kameras und rennen auf den Hirsch zu. Der Hirsch schaut den vier Menschen ungläubig entgegen und röhrt erneut. Er wartet, bis die krakeelenden Golfspieler nur noch ungefähr acht oder zehn Meter entfernt sind. Und dann greift der Hirsch an. Schließlich geht es um seine Weibchen, sein Revier, seinen Platz in der Hierarchie aller Golfplatzhirsche.

Fünf Minuten später sind sowohl der Bulle als auch die Chinesen wieder verschwunden. Das Tier ist erhobenen Hauptes zurück in den Wald gestakst, die drei Golfspieler haben ihren verwundeten Kollegen Richtung Clubhaus geschafft. So, wie es aussah, wird er für den Rest seines Kanada-Urlaubs nicht mehr schmerzfrei sitzen können, und der lange Rückflug nach Peking wird bestimmt auch keine Freude werden. Wir aber können endlich staufrei weiterspielen. Und müssen auch keine Angst vor Bären mehr haben. Bei der Geräuschkulisse von gerade eben sind die längst über alle Berge.

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Ausgabe 03/2024

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