Foto: Ralf Ziegler/AdLumina
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Stefan Nink unterwegs auf Capri

Es gibt Orte auf dieser Welt, die man als Reisender nicht auslassen darf. Weil sie zu bedeutend sind. Zu berühmt. Zu einzigartig. Weil es einen kategorischen Imperativ für gewisse Sehenswürdigkeiten gibt, der besagt: Klar musst du dir nicht alles ansehen – DAS hier aber schon. Wer nach Kambodscha fliegt, kommt an den Ruinen von Angkor Wat nicht vorbei. In Kairo muss man hinaus zu den Pyramiden. Und ein Sydney-Besuch, ohne das Opernhaus gesehen zu haben? Undenkbar.

Deswegen war ich auf Capri neulich in der Blauen Grotte. Das ist jene Meereshöhle, deren Entdeckung die kleine Insel vor Neapel einst berühmt gemacht hat, Ziegenhirten in Immobilienhaie verwandelte und arme Fischer zu Flaneuren in Prada. Es war die Grotte, von der die Deutschen in den Fünfzigern an grauen Fernsehsonntagen träumten, bei einem Glas Moselwein und Sendungen, in denen Wiener Schauspieler auf der Mandoline dilettierten.

Und es war der Rummel um sie, der dafür sorgte, dass es plötzlich nicht bloß Schurikes Caprifischer gab, sondern auch Hosen, Eis, Fruchtsaft und einen ästhetisch fragwürdigen Sportwagen mit dem Inselnamen. Kann man so einen Ort links liegen lassen?

Ich war an einem Sonntag dort. Nachmittags. In der Hauptsaison. Natürlich ahnte ich, dass es schlimm werden würde. Im Wasser vor der Höhlenzufahrt dümpelten mehr Boote als einst vor Troja, nachdem die Griechen angerückt waren. Und Ausflugsschiffe. Und Yachten. In die Grotte passen bloß kleine Ruderboote, die ihre Passagiere zuvor bei den größeren, wartenden Booten abholen müssen – in vielen Fällen dauert das quälend lange, weil viele Passagiere entweder viereinhalb Zentner wiegen oder 107 Jahre alt sind.

Dann war mein Boot endlich dran und dann drin, und die Dunkelheit leuchtete wunderschön blau, und einen Moment lang war ich tatsächlich ganz verzaubert. Dann aber begannen sämtliche Gondolieri, irgendeinen Kitsch zu krakeelen, „Ave Maria“ und „Nessum dorma“; einer stimmte sogar „My heart will go on“ an, als säße man mit Leonardo DiCaprio und Kate Winslet auf der Hollywood-Titanic. Damit war der Zauber ratzfatz dahin.

Zum Glück musste unser Rudermann nach etwa drei Minuten wieder aus der Grotte hinaus, weil andere hinein wollten. Hinlegen, befahl er in sechs Sprachen, die Ausfahrt zum Meer sei niedrig, und als endlich alle lagen oder zumindest sehr schief hingen, krachte plötzlich eine Woge in unser Boot. Ich schätze mal: einen guten Meter hoch und so um die vier Badewannen Wasser. Der Gondoliere pfiff nun nicht mehr. Er ruderte sehr zügig. Bis wir am Kai waren, beobachtete er, welcher seiner Passagiere mit einer durchnässten Kamera hantierte oder vergeblich versuchte, das ertrunkene Smartphone wiederzubeleben.

Als wir anlegten, sprang er an Land und vertäute das Boot. Zehn Sekunden später war er weg. Und ich stand zehn Minuten später an der Bushaltestelle. Soeben hatte der Busfahrer mir mitgeteilt, dass er mich auf keinen Fall mitnehmen werde, ich solle mich doch mal ansehen, wie ich tropfte und triefte, da würde ja alles nass. Auch der Kellner des Strandcafés scheuchte mich aus dem Korbsessel. Am Ende blieb mir nur ein Platz auf einem Felsen, ein paar Meter vom Café entfernt. Auf dem konnte ich dann darüber nachdenken, ob das tatsächlich stimmt mit den Sehenswürdigkeiten. Und ob ein blauer Himmel und eine warme, trocknende Sommersonne am Urlaubsort nicht viel wichtiger sind als das, was man unbedingt gesehen haben muss.

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Ausgabe 03/2024

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