Der unsichtbare Protegé

Ein Glas, ist ein Glas, ist ein Glas, ist ein Glas … falsch! Weingläser haben einen phänomenal großen Einfluss auf die sensorische Wahrnehmung des Weines. Wir stellen Ihnen verschiedene Konzepte und aktuelle Neuheiten der Glasmanufakturen vor.
 
Unverkennbar mit dynamischem Schnörkel: EischWeingläser können ihrem Inhalt schmeicheln, ihn zuspitzen, hervorheben oder ihn auch niederprügeln, banalisieren und verfälschen. Für die meisten Laien sind 20 verschiedene Weingläser wohl lediglich eine übertriebene Zurschaustellung von Luxus. Und den meisten genügt die klassische Auswahl zwischen einem Weißwein- und einem Rotwein-Glas vollkommen. Wer aber einen eigenen kleinen Weinkeller pflegt und für Weine aus aller Welt gerne und häufig sein Portemonnaie erleichtert, der sollte sich nicht mit Standardgläsern zufrieden geben. Die Form des Kelches beeinflusst den Fluss der Aromen und regelt gleichzeitig die Sauerstoffzufuhr. Die Aromen können aus dem Glas förmlich springen oder auch von ihm sanft gezügelt werden. Bei einer größeren Oberfläche, also einem breiteren Glas, kann der Wein besser atmen. Je nachdem, was einem ganz bestimmten Typ Wein gut tut. Individualität, der Austauschbarkeit eines Weines entgegensteuern: Darin liegt das ganze Streben eines guten Winzers. Er bewirtschaftet den Weinberg sortenspezifisch oder wählt die passende Hefe zur Vergärung aus. Alles für den Moment, wenn der Kunde seinen Wein einschenkt. Gönnen Sie sich das passende Glas, um Farbnuancen, Textur und Aromen professionell herausfinden und bewerten zu können. Sie werden es nicht bereuen.

Riesling oder Pinot Noir?

Die Einteilung für den Profi und ein absoluter Klassiker: Für jede Rebsorte wird das passende Glas entworfen! Die Glashütte Eisch hat 2012 die Kollektion namens Jazz Sensis plus mit den Gläsern Rotwein, Bordeaux, Weißwein und Chardonnay herausgebracht. Als einzige der hier getesteten Glas-Serien ist es auffällig mit einem geschliffenen Schnörkel am Glaskelch verziert. Im Vergleich zur Vorgänger-Serie wurde der Schnörkel minimalisiert. Das Glas wirkt ruhiger und eleganter, nicht mehr ganz so verspielt. Auch die Form generell ist gedrungener. 

Gläser für Profis: Zwiesel

Das Rotweinglas fördert die Verdichtung der Aromen, das Bordeaux-Glas hingegen bringt die Würze eines Weines gut zum Vorschein. Das Weißwein- und Chardonnay-Glas ist, verglichen mit den Konkurrenz-Produkten, relativ klein und wirkt nur in sehr femininen Händen platziert. Trotzdem eine überzeugende und gute Kollektion.
Preis/Glas: ca. 18 bis 23 Euro. www.eisch.de
 
Zwiesel Kristallglas legt mit der Gourmetglas-Serie Wine Classics vom Frühjahr 2013 die Mammut-Kollektion vor und übertrumpft alle anderen Glas-Serien mit Klarheit und Präzision. Es gibt folgende Rebsorten- beziehungsweise Regionen-spezifische Gläser: Sauvignon Blanc, Chardonnay, Riesling, Sauternes, Bordeaux, Shiraz, Rioja, Merlot und Pinot Noir. Wobei zum Beispiel das Riesling-Glas auch für Grüne Veltliner oder für Weine der Region Vinho Verde empfohlen wird. Bei der Entwicklung waren Sommelier Alexander Kohnen und das International Wine Institute involviert. Die handgefertigten Kelche wirken, trotz der teilweise durchaus üppigen Größe, filigran und leicht. Sie haben einen breiten Oberflächenspiegel und einen hohen, geschwungenen Kamin. Der leicht gelippte Glasrand soll das Süße-Säure-Spiel der Weine im Mund intensivieren.
 
Die Serie wurde mit dem Interior Innovation Award 2013 und dem Red Dot Award für Product Design 2013 geehrt und trägt zu Recht den Slogan „Wine Classics – Eindrucksvolles Design für die großen Weine der Welt“. Bevor Sie vollkommen euphorisch die Gläser kaufen, sollten Sie allerdings eines wissen: Diese Gläser verzeihen nichts. Sie sind maßgeschneidert und sie verlangen
den passenden Wein. Das ist das High Class-Glas.
Preis/Glas: ca. 30 bis 35 Euro. www.zwieselkristallglas.com

Rot oder weiß?

Stabil und unkompliziert oder Mut zum Bauch: Rastal und Villeroy & BochDie klassische Einteilung der Serie Monreal in Rotwein- und Weißweinglas von Rastal ist ein solider Einstieg für Weintrinker. Gerade, wenn Sie Ihren Weinhorizont noch nicht bis nach Bordeaux oder Südafrika erweitert haben, eine gute Entscheidung. Denn diese Gläser sind extra für „cool climate“-Regionen konzipiert. Deutschland gilt als eine solche gemäßigte, kühle Weinbauregion mit spritzigen, säurebetonten Weißweinen und frischen, leichten Rotweinen, die in heißen Regionen, wie Südspanien gar nicht gedeihen können. Die Entscheidung der Firma Rastal, die Glasserie extra für rheinland-pfälzische Weine zu deklarieren, war wohl Lokalpatriotismus. Der Sitz der Firma ist in Rheinland-Pfalz und der Name der Serie Monreal, so international das Wort auch klingt, ist der Name einer kleinen Gemeinde bei Koblenz. Weinliebhaber anderer deutscher Regionen, wie Franken oder Saale-Unstrut, sollten sich nicht abschrecken lassen: Mit diesen stabilen, unkomplizierten Gläsern kann man zunächst nichts falsch machen. Und bei einem Stückpreis um die 1,50 Euro dürfen die Partygäste auch mal härter anstoßen.

Spritzig oder samtig?

Accessoires, Vasen, Geschirr: Der Name Villeroy & Boch taucht bei Weingläser-Vergleichen eher selten auf. Die neue Kollektion Purismo ist seit Frühjahr 2013 auf dem Markt. Und die Entwickler wollten anscheinend alles anders machen als die anderen: Schon von Form und Ästhetik her wirken die Gläser gedrungener und sehr bauchig im Vergleich zu den Gläsern anderer Firmen, die schlanker und hochgewachsener sind. Man könnte fast sagen, dies ist die moderne Version der alten Römerkelche. Auch die Einteilung der insgesamt vier Gläser ist ungewöhnlich: Es gibt die Weißweinkelche „frisch & spritzig“ oder „weich & rund“ und die Rotweinkelche „körperreich & samtig“ oder „tanninreich & fordernd“. Die Idee, Gläser nach dem Charakter eines Weines einzuteilen, ist simpel, aber sinnvoll. Leider halten die Gläser nicht, was sie versprechen: Sie sind sich alle zu ähnlich! Besonders deutlich wird das beim Glas „frisch und spritzig“. Der eben noch Zitrus- und Apfel-intensive Riesling riecht plötzlich nach Banane. Durch den dicken Glasbauch wirken alle Weine breiter und üppiger – auch wenn man das nicht will. Eine gute Idee, an der aber noch gefeilt werden muss. Mehr Mut zu unterschiedlichen Formen!
Preis/Glas: ca. 10 Euro. www.villeroy-boch.com

Guts-, Orts- oder Lagenwein?

Klar, kantig, maskulin: Stölzle

Die Traditionsfirma Stölzle prescht mit der größten Neuheit voran: Die bereits bestehende Serie Experience wurde neu gegliedert und zwar in Guts-, Orts- und Lagenweine. Als Vorbild fungierte hier die Lagenklassifikation des Verbands Deutscher Prädikatsweingüter (VDP). Diese Weingüter, und mittlerweile auch andere, kehren von der verbreiteten Form ab, Weine nach dem Mostgewicht (also nach Q.b.A., Spätlese oder Auslese) zu sortieren. Entscheidend ist die Herkunft des Weines. In der Glas-Serie kommt dies folgendermaßen zum Ausdruck: Es gibt ein kleines, ein mittleres und ein großes Glas. Eingeschenkt wird unabhängig von der Rebsorte. Ein schlichter Gutswein-Riesling kommt ins kleine, ein eleganter Ortswein-Riesling ins mittlere, ein hochkomplexer und alterungsfähiger Lagenwein-Riesling in das größte Glas. Diese Glas-Serie fordert den Weintrinker heraus. Es gibt keine starren Vorgaben, wie Chardonnay ins Chardonnay-Glas, und die lange erlernte Regel „Weißweine in das schlanke, kleine Glas und Rotweine in große, bauchige Gläser“ wird hier außer Kraft gesetzt. Aber wer sich auskennt, hat an diesem Modell seine wahre Freude. Einziges kleines Manko: Die Namens gebung ist inkonsequent. Die Gläser heißen Weißweinkelch, Weißweinglas, Süßweinkelch, Burgunder, Bordeaux, Rotweinkelch und man fragt sich: Warum diese Unsicherheit? Dennoch: Ein Modell für Jetzt, Hier und die Zukunft! Und unser Preis-Leistungs-Knaller obendrein.
Preis/Glas: ca. 6 Euro. www.stoelzle-lausitz.com
Sina Listmann

Ausgabe 03/2024

Erhältlich ab 8. März: MEININGERS WEINWELT Ausgabe 03/2024

Themen der Ausgabe

Feines Frische-Duo

Mineralischer Albariño schmeichelt Fischeintopf mit Gemüse: Das Winepairing zum Start ins Frühjahr hat sich Sommelier Emrah Isitmen aus Karlsruhe für Sie ausgedacht und damit eine Geschmackskombination für pures Atlantik-Feeling kreiert … »weiter zu Rezept & Weintipp

Rieslinge von Weltruhm

Bettina Bürklin-von Guradze hat das Pfälzer Topweingut Dr. Bürklin-Wolf perfekt für die Zukunft aufgestellt und verrät im Gespräch mit Chefredakteurin Ilka Lindemann, wie sie dabei Traditionen, Familie und Biodynamie unter einen Hut gebracht hat.

Weinbar-Guide London

Die Gastroszene der britischen Hauptstadt ist lebendig wie nie und kann zuweilen ganz schön überfordernd sein. Wir waren für Sie vor Ort und zeigen Ihnen in dieser Ausgabe die angesagtesten Weinbars und Locations für jeden Anspruch.