Wein ist ein sagenhaftes Mysterium. Oder nicht?
Themen der Ausgabe
Als wir neulich in illustrer Runde zusammensaßen, kamen wir auf die romantisch-verklärte Sicht auf das Weinmachen und den Wein im Allgemeinen zu sprechen. Für die meisten hat Wein mit Spaß und mit schönen Bildern von unberührter Natur zu tun. Viele denken sogar, Wein ist automatisch ein Bioprodukt. Und die meisten verbinden die Traubenlese mit der Vorstellung vieler helfender Hände in den Rebhängen und langen, fröhlichen Winzertafeln im Weinberg, wenn die Ernte vollbracht ist.
Ein Winzer berichtete sogleich von einem Erlebnis, das er während der Ernte hatte. Ein Ehepaar lief durch seine Rebhänge, schaute neugierig den Erntehelfern beim Traubenschneiden zu und meinte dann: „Machen Sie das mit der Hand? – Wie unhygienisch!“ Auch so kann’s gehen.
Viele Weinliebhaber sind extrem gut informiert, das sei an dieser Stelle festgehalten, aber Vieles, was den Wein betrifft, ist eben auch erklärungsbedürftig. Wie entsteht ein solch verklärtes Bild vom Wein? Liegt es an uns Weinjournalisten? Oder am Winzer selbst, der seinen Kunden vermittelt, der Wein „entstehe im Einklang mit der Natur“? Von Lesemaschinen oder besser Vollerntern ist in diesem Zusammenhang nie die Rede, dabei ist die Maschinenlese aus dem alltäglichen Bild in den Weinbergen nicht mehr wegzudenken.
Wir wollten es genauer wissen und recherchierten bei einigen offiziellen Stellen nach der Erntemenge in Deutschland, die maschinell gelesen wird. Da es weder Statistiken noch eine Meldepflicht gibt, so hörten wir, gibt es auch keine Möglichkeiten zu ermitteln, wie groß die Menge ist, die mit dem Vollernter gelesen wird. Nicht mal zu groben Schätzungen wollte man sich hinreißen lassen. Aber, was gesagt werden musste, wurde auch von offizieller Seite noch mal deutlich betont: In guten Lagen wird immer mit der Hand gelesen! Punkt.
Klar, die einen Winzer setzen auf Handlese, die anderen auf maschinelle Hilfe. Das traditionelle Ernten mit Schere und Eimer kann oft aus wirtschaftlichen Gründen gar nicht mehr geleistet werden. Und das vor allem in Zeiten, in denen man aufgrund der Wetterverhältnisse oft nicht mehr als zwei Tage Zeit hat, die Trauben einzuholen. In einer Stunde wird mit einem Vollernter das geerntet, wofür sonst 30 Lesehelfer nötig wären. Wichtig ist nämlich vor allem eins, alle Trauben zum idealen Lesetermin einzubringen, denn nur aus gesunden Trauben, macht man einen guten Wein.
Darüber waren wir uns alle einig und, dass wir es ehrlicher finden, sich als Winzer auch mal mit dem Vollernter ablichten zu lassen, als dessen Einsatz komplett zu negieren. Das muss nämlich gar nicht sein.
Ilka Lindemann [email protected]