Interview Leone

„Hochwertiges Bier ist dem Wein absolut ebenbürtig “

Justin Leone ist Sommelier bei der Münchener Restaurant-Legende Tantris. Dem Bier nimmt er sich mit ebenso viel Leidenschaft an wie Wein – für ihn sind beide gleichberechtigt und gehören zum Handwerk.

Justin Leone „Hochwertiges Bier ist dem Wein absolut ebenbürtig “Wie bist Du auf die Idee gekommen, in einem so renommierten Restaurant wie dem Tantris Biere als Menübegleitung anzubieten?

Leone: Während meiner Zeit in den USA waren Bier-Pairings selbst in 2- oder 3-Michelin-Stern-Restaurants alles andere als ungewöhnlich. Da dort die „High End“-Restaurantszene noch recht jung ist, gibt es zum Glück keine wirklichen Tabus. Ohne diese Last der Tradition hat sich nicht die Frage gestellt „Warum Bier am Tisch eines Sternerestaurants?“ sondern vielmehr „Warum denn nicht?“. Viele Deutsche mag es überraschen, aber die Amerikaner sind sehr stolz auf ihre moderne Bierkultur und auch die Sommeliers zollen dieser Entwicklung Respekt. Handgemacht, liebevoll gebraute Craft-Kreationen tauchen auf immer mehr Weinkarten der Restaurants auf – und wenn das Ganze dann in Champagnerflaschen mit entsprechendem Korken gefüllt ist, wird es schwer, das Produkt Craftbeer im Vergleich zu Wein auf die hinteren Ränge zu verweisen. Tolles, hochwertiges Bier hat ohne Zweifel seinen Platz neben Wein als Ausdruck von Hingabe und Handwerkskunst – warum sollte es auch auf einer niedrigeren Stufe stehen?

Erinnerst Du Dich noch an das erste Bier, dass Dich richtig gefesselt hat?

Eines der ersten, in das ich mich richtig verliebte, war J.W. Lees „Harvest Ale“ Barleywine. Das war vor knapp zehn Jahren, so um 2005, und ich war zu dieser Zeit von der Idee besessen, jedes auf dem Markt erhältliche Bier zu verkosten – oder zumindest alles, was man in Bloomington (Indiana) mit einem mittelmäßig gefälschten Ausweis bekommen konnte. Ich hatte ja schon viel vorher probiert, doch die Idee und Komplexität dieser teils 30 Jahre und mehr gereiften Barleywines hat mich vom ersten Probieren an nicht mehr losgelassen.

Welche Bierstile faszinieren Dich momentan am meisten? In welchen Ländern siehst Du die lebendigste und spannendste Bier-Szene?

Meiner Meinung nach sind die USA momentan das aufregendste Land für Bier. In Deutschland, dem nahezu unangefochtenen „Bier-Himmel“, gibt es etwa 1.250 Brauereien. Die USA, Größe einmal außer Acht gelassen, hat mehr als doppelt so viele. Die schiere Ausdehnung ist dort unfassbar. Fast jeder denkbare Bierstil wird produziert und das auf einem extrem hohen Qualitätsniveau.

Wenn ich ein Land wählen müsste, das für mich die größte Überraschung darstellt, dann wäre das auf jeden Fall Italien. Von einer Kultur, die für Peroni, Peretti und mit Glück vielleicht noch Menabrea bekannt war, hat sich die italienische Brauwelt auf den Kopf gestellt. So haben in den letzten zehn Jahren die Kinder von Weinmachern, die das Gut nicht übernehmen wollten, ihre Betriebe zu Brauereien umfunktioniert; sie haben Praxiserfahrungen in allen wichtigen Bier-Regionen gesammelt und das Wissen mit nach Hause gebracht. Nur um daraufhin wieder alles in Frage zu stellen und neue Lösungen zu suchen. Was dort momentan passiert ist Wahnsinn – und fantastisch. Für die derzeit wohl faszinierendste Bier-Erfahrung mit einer stilistischen Bandbreite von Vin-Santo-Typen bis hin zu frischen, fruchtigen Sour Ales kommt man an Italien nicht vorbei.

Wie ist das Bier-Sortiment bei Euch im Tantris organisiert? Gibt es eine eigene Karte?

Nun, ich bin seit einer Weile dabei, eine offizielle Seite für Craftbier in der Weinkarte einzubinden – aber noch nicht ganz fertig damit. Das Tantris ist nach wie vor in allererster Linie für seine Weine bekannt und ich will das auch gar nicht ändern. Vielmehr möchte ich das Thema Bier auf eine möglichst geschmeidige und intelligente Art im Restaurant einbinden.

Wenn ein Gericht vom Grill kommt, ein leicht geräuchertes Rauchbier aus Bamberg dazu – das ist schon ein Stück Magie aus der Heimat.

Wie viele Biere habt Ihr ständig auf Lager?

Das sind immer mindestens 20 verschiedene, in allen erdenklichen Flaschenformaten und Stilistiken: Unter anderem Lager aus Tahiti, Ales nach alter Art ohne Hopfen aus Schottland oder Barleywine aus Österreich.

Was ist die typische Reaktion eines Gastes, wenn Du ihm ein Bier-Pairing vorschlägst?

Die Bierbegleitung ist vor allem während der Oktoberfestzeit ziemlich beliebt, da gibt es viele Restaurantbesucher, die direkt von der Wies’n kommen, erschöpft sind und für die es ziemlich anstrengend wäre, gleich Wein zu trinken. Insofern ist Bier hier eine sehr attraktive Möglichkeit, sie abzuholen. Andererseits gab es auch etliche Gäste, die zu Beginn einem Bier-Pairing sehr skeptisch gegenüber standen.

Das liegt natürlich daran, dass in München eine wahnsinnig traditionalistische Bierkultur vorherrscht. Bier ist eine Art Alltagsphänomen – und dennoch ist die experimentelle, abenteuerliche, Seite des Biers hier aufgrund des Reinheitsgebots sehr eingeschränkt. Dadurch wird leider auch die Sichtweise, was ein Bier ausmachen sollte, etwas limitiert. Ich konnte kaum glauben, dass so viele deutsche Biere, die ich jede Woche in Chicago probierte, in München nicht erhältlich waren. Sie waren sogar nicht nur nicht verfügbar, sondern 99 Prozent der Leute hatten noch nie von ihnen gehört – hauptsächlich deshalb, weil sie nicht im Radius von 2 Kilometern ums Stadtzentrum produziert wurden. Wenn alles, was ich über das Thema weiß, mit den ans Reinheitsgebot gebundenen Bieren zusammenhinge, wüsste ich gar nicht um die endlosen Möglichkeiten für ein Bier-Pairing. Nach dem ersten Jahr, viel Überzeugungsarbeit und ein paar Zeitungsartikeln, sind die Menschen hier endlich offener und begeistern sich auch für die „anderen“ Biere.

In welchen Schritten gehst Du eine Bierbegleitung im Restaurant an? Kommt zuerst das Gericht, arbeitest Du um das Bier herum oder entsteht alles gleichzeitig?

Ich habe einfach unseren Chef Hans Haas gefragt, ob wir ein Menü zusammenstellen können, das thematisch und stimmungsmäßig gut zur Wies’n passt. Auch wenn es dadurch etwas anders als unsere regulären Menüs ist, greift es einige „Haas-Classics“ auf. Sachen, die zum Hunger, der Atmosphäre und der Jahreszeit passen, etwa Kalbsbäckchen, Steinbutt, Gockerl, Kalbskotelett und ähnliche Leckereien. Herzlich-herzhaftes, wärmendes, einladendes Essen, zu dem etwas ebenso Reichhaltiges wie Bier hervorragend passt. Wenn ein Gericht vom Grill kommt, ein leicht geräuchertes Rauchbier aus Bamberg dazu – das ist schon ein Stück Magie aus der Heimat.

Welches sind die wichtigsten Charaktereigenschaften von Bier, die es, besonders bei der Kombination mit Speisen, zu beachten gilt?

Zunächst mal gibt es hier einen Punkt, an dem Wein beim Pairing gegenüber Bier ganz klar die Nase vorn hat: die Säure. Das ist beim Wein der wohl spannendste Nerv, der die verschiedenen Gerichte wunderbar ergänzen und lenken kann. Bier hat zwar wenig Säure, kann aber dafür durch seine frische Kohlensäure Akzente setzen. Eine weitere Gefahr besteht darin, dass Bier oft wie „flüssiges Brot“ wirkt und schnell sättigt. Der wichtigste positive Aspekt ist für mich die Tatsache, dass Bier Aromen an den Tisch bringen kann, die so im Wein nie auftauchen. Das ist eine völlig andere, ganz besondere Welt.
Eine meiner schönsten Erinnerungen im letzten Jahr in Chicago war es, als ich eines Sonntags aufwachte und mein Mitbewohner schon Rühreier machte, der Speck brutzelte gerade auf dem Grill. Ich stand auf, legte einen Crémant de Vouvray von Huet auf Eis, und schenkte in der Zwischenzeit ein Kentucky Breakfast Stout von Founders Brewing aus Grand Rapids, Michigan, in Kaffetassen aus. Zum Aufwachen, natürlich. Ein Stout-Bier, schwarz wie Kaffee, mit einem wunderbaren, mokka-artigen Schaum, ähnlich der Crema auf einem super Espresso, gebraut mit Bitterschokolade, Hafer und Kaffeebohnen, und in Bourbon-Fässern gereift. Alles was Frühstück ausmacht – in einem Glas. Die Süße des braunen Zuckers gegen den salzigen Speck, das cremige Rührei spielte mit der Fülle der vom Hafer geprägten Textur des Biers, und die Aromen von Bitterschokolade und geröstetem Kaffee erinnerten an eine frische Tasse des besten Ruanda-Roast, den man kriegen kann. Das ist wirklich etwas Besonderes.

Findest Du, dass Sommeliers zu sehr auf Wein fokussiert sind?

Ich denke, durch meine Statements zum Thema Bier wird ja relativ deutlich, welche Meinung ich habe und dass es weit mehr als nur Wein gibt. Wenn jemand von sich behauptet, ein Sommelier zu sein, dann macht er ein Bekenntnis zu Stil und anspruchsvollem, kritischen Geschmack. Und wenn dieser Geschmack nun vorhanden ist, wieso soll er dann völlig singulär auf Wein ausgeprägt sein? Geschmack ist für mich etwas Allumfassendes. Entweder man hat Klasse, oder eben nicht. Man fährt nicht in einem heruntergekommenen Yugo durch die Gegend und steigt dann in einem maßgeschneiderten Saville-Row-Anzug aus. Man bestellt keinen Hugo als Aperitif, um dann später über die stilistischen Unterschiede von Frédéric Mugnier und Christophe Roumier mit ihren Bonnes Mares und Le Musigny während der letzten zehn Jahrgänge zu philosophieren. Unmöglich. Wenn ein Sommelier seine Anzugkombination nicht richtig hinbekommt, keinen Wert auf schicke Manschettenknöpfe legt und weniger als zehn Paar Schuhe besitzt, sollte er seine sogenannte Kennerschaft nochmal hinterfragen. Natürlich will kein Gast einen Sommelier mit Verhalten wie Dustin Hoffman in „Rain Man“ an seinem Tisch; er will aber eine vollendete Version eines „Gentleman-Gelehrten“, der ihn nahtlos durch die kulinarischen Abenteuer eines ganzen Abends begleitet – mit Charme, Faszination, Stil und Professionalität.

 

Zur Person:

Justin G. Leone kam erst über Umwege zum Wein und war zuvor auf dem besten Weg, als Musiker seine Brötchen zu verdienen: Er studierte Kontrabass und tourte zudem erfolgreich mit einer Punkrock-Band. 2006–2011 setzte er in Chicago als Sommelier der 3-Sterne- Adresse „Alinea“ (Grant Achatz) und bei „Benny’s Chophouse“ Ausrufezeichen. Seit 2011 ist Leone Sommelier im Tantris und Nachfolger der legendären Paula Bosch.

Fotos: Tantris

01-24

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