Inside Bollinger

Drei Jahre hat die Erfassung, Katalogisierung und Restaurierung sowohl der Flaschen wie der Keller gedauert. Im Juni 2016 war es soweit. Champagne Bollinger präsentierte seine Gallerie 1829 und La Réserve, begleitet von einer spektakulären Verkostung.

Schwer zu sagen, welcher Teil der Probe der spannendere war: Die historischen Champagner-Jahrgänge, Zeugnisse der Geschichte, teils von verblüffender Vitalität, oder die älteren Jahrgänge der Reserveweine, die Bollinger mit leichten Druck in Magnumflaschen reifen lässt, um damit der Special Cuvée ihren besonderen Stil zu verleihen.

Im Keller „La Réserve“ lagern mehr als 3.000 Magnumflaschen aus 45 verschiedenen Jahrgängen und 16 verschiedenen Crus. Darunter natürlich besonders viele aus jenen Crus, die für Bollinger eine besondere Rolle spielen: Verzenay, Aÿ, aber auch Cuis an der Côte des Blancs. Aus Aÿ und Oger gibt es sogar noch Reserveweine aus dem Jahr 1893 in mundgeblasenen Magnumflaschen. In den aktuellen Cuvées werden normalerweise 5 bis 15 Jahre gereifte Reserveweine verwendet, insgesamt rund 80.000 Flaschen pro Jahr, je nach Charakter und Umfang der aktuellen Ernte. „Aufs Jahr gerechnet öffnet ein Mitarbeiter das ganze Jahr nur Magnumflaschen und prüft, ob der Korken in Ordnung ist“, erklärt Bollinger-Präsident Jérôme Philipon. Insgesamt lagern in den Bollinger-Kellern 750.000 Magnumflaschen Reserveweine. In der aktuellen Assemblage der Special Cuvée (Basis Ernte 2012, Tirage 2013) stammt der älteste Reservewein aus dem Jahr 2000. Auch Kellermeister Gilles Descôtes ist begeistert vom neuen Archiv der Reserveweine. „Die Weine helfen, den Charakter der Crus und das Reifepotenzial noch besser zu verstehen.“ Eine Verkostung von vier Jahrgängen Verzenay (logischerweise ohne Dosage) gab einen faszinierenden Einblick in die Reifeentwicklung: 2002 sehr würzig, nur dezent fruchtig (Apfelmost), mit sehr viel tonigem Grip, feiner Perlage; dann 1999, viel intensiver in der Farbe, minzig und toastig zugleich, Orangenschale und Grapefruit. 1992 präsentierte sich als eine Kombination aus 2002 und 1999, mit viel Extrakt, nussig, leicht apfelmostig, Safran und Honig. Zum Abschluss 1985: Reif und wild, Wermut, fast wie ein reifer Savagnin aus dem Jura, kaum noch perlend und dennoch extrem lang anhaltend.

Die Galerie 1829 ist auf den ersten Blick ein klassisches Archiv älterer Jahrgänge. Doch Dimension und Tiefe sind beeindruckend: Mehr als 7.300 Flaschen verschiedener Formate (Bouteille bis Jéroboam), 65 verschiedene Jahrgänge (insgesamt wurden von Bollinger bisher 73 Jahrgänge auf den Markt gebracht). Der älteste Jahrgang stammt aus 1830, dem Jahr nach der Gründung des Hauses. Davon wurden mehr als 4.000 Flaschen komplett restauriert, inklusive neuer Verkorkung. Ein großer Teil sehr alter Weine stammt aus einem vergessenen Stollen, dessen Eingang mehrere Meter tief mit Leergut angefüllt war. Dank Holzblättchen mit Codes in den verschiedenen Fächern dieses Kellers konnten viele, aber längst nicht alle Gallerie 1829 und La Réserve – Zeugen der Geschichte und Säulen des Stils. Text: Sascha Speicher Champagnerschätze La Réserve: Das Archiv gereifter Reserveweine Der erste Vieilles Vignes Françaises Vintage 1914, degorgiert 1969 Die Gallerie 1829 Gilles Descôtes (Mitte) stellt die Weine vor PERLAGE champagne bollinger Weine identifiziert werden. Darunter beispielsweise Reserveweine wie der 1886 Le Mesnil-sur-Oger oder 1893 Verzenay, aber eben auch sehr alte Vintage-Champagner aus den Vorkriegsjahren.

Eine weitere Besonderheit von Bollinger ist die Rotweintradition. Gerade erlebt der Pinot Noir La Côte aux Enfants einen beeindruckenden qualitativen Aufschwung, auch dank des Know-hows, das Jean-Pierre Confuron, Önologe von Bollinger- Tochter Chanson, eingebracht hat. Die Rotweinkollektion in der Galerie 1829 reicht zurück bis 1895 Bouzy Rouge, ältester Côte aux Enfants ist der Jahrgang 1934.

Highlights der Probe:

97
1969 Vieilles Vignes Françaises
(Deg. 2012, Dos. 4 g/l)
Der erste „VVF“, aus drei wurzelechten
Parzellen: Goldgelb, viel
Pinot-Charakter, Morcheln, Rosinen,
Gewürzbrot; cremige Fülle, dicht
und extrem lang anhaltend
 
100
1952 R.D. (Deg. 1967)
Der erste R.D. ever zeigt sich in
perfekter Verfassung, unglaublich
konzentriert, kandierte Früchte,
getrocknete Aprikose, geröstete
Nüsse; zarte Perlage, sehr dicht,
aber keineswegs fett, fokussiert und
sehr lang
 
98
1937 Vintage
(Deg. 1969, Dos. 13,8 g/l)
Stillwein, goldgelb; hocheleganter
Duft, Vanille, Morcheln, Wermut,
Quitte; am Gaumen weißer Nougat
und Sahnekaramell, weißer Trüffel,
ein Aromenfeuerwerk; engmaschig
und mit viel Spannung, leicht salzig
 
99
1924 Vintage
(Deg. 1969, Dos. 10 g/l)
Noch ganz zart perlend, leuchtendes
Gold; Kaffee, Liebstöckel, Passionsfrucht
und kandierte Ananas; fruchtiges
Säurespiel, auch getrocknete Feigen am
Gaumen, perfekte Balance
 
100
1914 Vintage
(Deg. 1969, Dos. 5 g/l)
Unglaublich frischer, kräuterwürziger
Duft: Kardamom, Minz-
Schokolade, Lavendel; erinnert
an Schalentiere; sehr griffig und
zartherb mit viel Zug, jodig-mineralisch,
animierendes Säurespiel
 
94
1928 Bouzy Rouge
Die Überraschung: intensiver Duft,
Kirschkern, Leder, weißer Trüffel,
Johannisbeere, erdige Würze;
schlank, saftig und unglaublich
lebendig, pikante Säure, hochfeine
Pinot-Art

01-24

Themen der Ausgabe

PANORAMA

Wie schmeckt die Zukunft Frankens?

PROFILE

Bibraud - kreativ und innovativ in Ulm

PROBE

Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote