Dogmen auf sandigem Grund

Peter H. MüllerVermutlich und hoffentlich sind wir uns einig, dass es in einer natürlichen Landwirtschaft unsinnig erscheint, diese Natur mit Chemikalien zu bearbeiten, insbesondere bei einem solch lebendigen Produkt wie Wein.

Immer wieder stellen wir fest, dass je mehr wir zu wissen glauben, umso größer die Erkenntnis ist, wie wenig wir erst wissen. Lediglich der Umgang damit ist entscheidend, während eine großflächig aufgestellte Armada von Schlagwörtern unser Metier infiltriert. Von Seiten der Journalisten, Händler, Kollegen und somit Gästen sät sie Irritation und generiert gefährliches Halbwissen. Eine Vielzahl an neuen Möglichkeiten tut sich auf, um unseren Weingenuss sowie den anderer beachtlich einzuschränken.

Vor Kurzem wurde noch gefragt „Wie viel Alkohol hat der denn?“ oder „Barrique?“, Hauptsache etwas gefragt. Ganz gleich, wie der Wein schmeckte, geschweige denn sich anfühlte. Schallt es heute „Reinzuchthefen oder Sponti?“, „Biodyn?“ und „Ist der geschwefelt?“ Inwiefern sind diese informativen Beeinträchtigungen hilfreich oder hinderlich in der Erstbegegnung mit einem Wein, anstatt diesen schlichtweg wahrzunehmen und auf sich wirken zu lassen und sich später mit den Fakten auseinanderzusetzen?

Generell trinkt man ja eh entweder: keine Neue Welt, keinen Riesling (der Säure wegen), keinen Merlot seit wir „Sideways“ gesehen haben und bloß keinen Ökowein, denn wir glauben diesen esoterischen Mumpitz nicht. Oder: Wir trinken nur noch Vin Naturel, Orange Wine, Demeter, Natural Wine ... Ja, gar Vino Normale?!

1. Fundamentalismus hat bislang noch nie Gutes hervor gebracht.
2. Da steigt doch keiner mehr durch!

Eine Demeter-Zertifizierung allein macht noch lange keinen großen Wein per se; ebenso wenig eine goldene Preismünze oder millionenschwere Investitionen.

Ja, ich bin Freund von minimaler Intervention. Allerdings ausschließlich unter der Prämisse der Qualitätssicherung durch Detailverliebtheit, Erfahrungswerte und Wissen. Wenn der Begriff „raw“ fallweise gleichbedeutend mit „instabil“ oder „fehlerhaft“ ist, läuft eine der schönsten Weinarten Gefahr, aufgrund einiger Negativbeispiele kategorisch abgelehnt zu werden. Wenn ich mich andererseits gänzlich biologisch-dynamisch erzeugtem oder sogenanntem naturbelassenen Wein verschreibe und alles andere verwerfe, was dann?!

Würde ich dogmatisch allem „konventionell“ erzeugten Wein abdanken, käme ich fortan nie wieder in den Genuss einer Wehlener Sonnenuhr des Weinguts Joh. Jos. Prüm. Ein solches Opfer bin ich nicht bereit zu bringen. Der Weg und das Werkzeug sind wichtig, doch letztlich muss doch das Resultat zu überzeugen wissen. Ich kann auch Tupac & Biggie Smalls gut finden.

So bleibe ich dabei ...
Schluss mit Schubladisierung!

01-24

Themen der Ausgabe

PANORAMA

Wie schmeckt die Zukunft Frankens?

PROFILE

Bibraud - kreativ und innovativ in Ulm

PROBE

Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote