Die Weinbegleitung

Sebastian Bordthäuser

Die Weinbegleitung, so scheint es, ist zum liebsten Kind des gastronomisch gebildeten Deutschen geworden. Der mag etwas erleben, am liebsten sogar regional. Man ist aufgeschlossen. Kein Samstagabend im Restaurant, an dem nicht mindestens 80 Prozent der Gäste den kollektiven Kontrollverlust praktizieren und die Getränke-Wahl einfach in meine Hände legen.

Ich frage mich oft, wer dieses Elend ersonnen hat, denn die Weinbegleitung ist etwas für ADS-Trinker. Man braucht fast keine Weinkarten mehr. Zu viel Buch, zu viel Text. Und ich kann fühlen, was jetzt kommt: zuerst entsetzte Stille. Dann der Shitstorm. „Aber eine Weinbegleitung ist doch toll“, höre ich es rufen, und in der Tat bietet sie viele Vorzüge: Zuallererst ist sie eine Steilvorlage für eine optimale Mischkalkulation, denn der Wirt muss schließlich Geld verdienen. Darüber hinaus bietet sie dem Gast die Möglichkeit Weine zu entdecken, die er regulär niemals bestellen würde. Das heißt im Umkehrschluss: Die sonst auf der Karte verschimmeln. Man bekommt bei einem großen Menü sieben oder acht unterschiedliche Eindrücke oder „Erlebnisse“ statt eines einzelnen Weines, alles immer passend zum jeweiligen Gericht abgestimmt.

Doch was heißt passend? Und wer legt das fest? Allein diese zwei Fragen zeigen, dass es keine Antwort darauf geben kann. Geschmäcker sind unterschiedlich, die von Sommeliers genauso wie die von Gästen. Passt ein Wein, wenn sich dessen primäre Aromen mit dem Gericht ergänzen? Oder bildet er vielleicht einen aromatischen Kontrapunkt zum Gericht und besticht so den genussbereiten Gast mit seinem Charme? Gehen wir noch einen Schritt weiter und wählen den Wein von der Textur her, dem Mundgefühl, sodass er zum jeweiligen Gericht passt. Wir können jedoch auch völlig abstrakt werden und die Philosophie des Winzers mit in die Wahl der begleitenden Weine mit einbeziehen. Das sind mannigfaltige Ansätze, alle lobenswert und sehr „high end“, aber: Vielleicht ist der Gast nicht so weit, wie wir es uns wünschen, sondern mag einfach nur etwas leckeres trinken. Einwand stattgegeben: Dann muss der Gast sich etwas Leckeres bestellen, denn die Weinbegleitung ist nicht auf den Geschmack des Gastes, sondern auf das Essen abgestimmt.

Es gibt jedoch eine weitere leidige Schwachstelle im System Weinbegleitung: Das Essen, dummerweise einer der Hauptgründe für einen Restaurantbesuch. Die Kompositionen der Restaurants des Landes werden immer komplexer und eine allgemein vertretbare Wahl eines Getränkes gerät immer mehr zur Lotterie, so komplex sind die Kreationen mittlerweile. Orientiere ich mich also an der Zubereitung eines Gerichtes, oder an der Sauce? Oder doch besser an den dazu gereichten Gemüsen oder des Schaumes, der die Grundaromatik konterkariert? In den Top-Top-Restaurants mit über zehn Gängen muss ein Wein bereits teilweise über mehrere Gänge herhalten, weil die Aromen und Texturen so komplex sind, das es kaum noch Anhaltspunkte für eine substanzielle Begleitung gibt. Und natürlich, weil der Gast nach zehn oder mehr Gläsern Wein einfach voll wäre.

Dazu kommt das Problem mit der Aufmerksamkeitsspanne. Für den normalen Menschen ist ein sieben Gang Menü, meinethalben auch ein fünf Gang Menü, ein Feuerwerk und eine echte Herausforderung, denn man hat diese geballte gustatorische Information einfach nicht jeden Tag. Tun wir dem Gast wirklich einen Gefallen, wenn wir zu jedem Eindruck, das ein Gericht hinterlässt noch einen zweiten setzten, der dann auch noch in einen wie auch immer gearteten Zusammenhang gebracht werden muss? Könnte nicht auch ein völlig anderer Wein dazu schmecken? Meistens ist es wahrscheinlich so. Nehmen Sie einen Gang als fixe Größe und zehn Sommeliers, Sie werden zehn unterschiedliche Weinempfehlungen und somit zehn unterschiedliche Ergebnisse erhalten. Könnte nicht vielleicht sogar eine einzige Flasche, genossen zu einem Menü, Gang für Gang eine neue Facette von sich preisgeben wie ein Schauspieler unter stets neuer Regie? Ist es wirklich erforderlich, dem Reiz-Reaktionsschema zu verfallen, um einem gastronomischen Erlebnis so seine Wertigkeit zu verleihen, das es möglichst oft und vor allem laut knallt? Denn letztlich kann man zu einem Gericht viele Weine servieren, die passen würden und Sinn machen. Es gibt folglich keine ultimativen Wahrheiten. Lassen wir das Essen einmal weg und schauen, was dann bleibt: im Zweifel ein Kompendium an zusammen gewürfeltem Getränk ohne Bezug zueinander. Eine gute Flasche Wein bleibt aber, was sie ist, und das auch ohne Essen: Eine gute Flasche Wein.

Sebastian Bordthäuser
Sommelier in Steinheuers Restaurant,
Bad Neuenahr-Ahrweiler

01-24

Themen der Ausgabe

PANORAMA

Wie schmeckt die Zukunft Frankens?

PROFILE

Bibraud - kreativ und innovativ in Ulm

PROBE

Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote