Ausgabe 03/2015

Wein als USP

Meiningers Sommelier 03/2015

Entspanntes Ambiente, einfach gutes Essen, geile Weinauswahl. „Wie viele solcher Läden gibt es in Deutschland?“ Diese Frage stellte Sebastian Georgi bei meinem Besuch und trifft damit einen Nerv. Er meint nicht die besternten Gourmetadressen. Von denen gibt es in Deutschland derzeit bekanntlich mehr als je zuvor. Manch einer unkt bereits, angesichts der Probleme vieler dieser Restaurants, auf die gewünschte Auslastung zu kommen, zu viele. Irgendwie weigere ich mich, dem zuzustimmen. In Paris, San Sebastian, Barcelona, Tokyo und Mailand funktioniert das ja schließlich auch. Selbst in London, und der Engländer als solcher ist kulinarisch ja auch nicht viel kultivierter als der Deutsche. Natürlich ist hierzulande die Bereitschaft, gutes Geld für richtig gutes Essen auszugeben, begrenzt. Leider. Darum hat Georgi recht: Mit gutem, aber einfachem und darum nicht zu teurem Essen lassen sich die Lokale füllen. Dazu dann eine richtig spannende Weinauswahl, bei Pizza, Burger, Pasta und Co. bleibt vom Budget ja noch etwas Manövriermasse frei, und der USP ist besetzt.

Beim Nachdenken darüber wird eines schnell klar: Es gibt eine ganze Reihe anspruchsvoller Gourmetrestaurants mit einer belanglosen Weinauswahl. Meist, weil am Servicepersonal gespart wird. Ein Sommelier? Völlig überbewertet. Und dann wundern, dass das Restaurant halb leer ist ... Umgekehrt fällt jedoch auf: Überall dort, wo es eine großartige Weinauswahl gibt, vom Drei-Sterne-Tempel bis zur Cordobar, der Tantris Natural Winebar in München, Askitis’ D’Vine in Düsseldorf oder Sebastian Georgis Pizza-Laden in Köln, stimmt die Qualität des Essens, wird mit ausgewählten, frischen, oft auch regionalen Zutaten gekocht. Das kann gerne auch bodenständig und rustikal sein, wie zum Beispiel im Krug in Hattenheim. Aber eben frisch und gut.

Relativ neu ist der Trend, mit einer grandiosen Auswahl offener Weine zu werben. Coravin, By The Glass, Enomatic und so weiter machen es möglich. Gal Ben Moshe mit seinem Restaurant Glass in Berlin ist so ein Beispiel, oder der Lavida Wine Club (ebenfalls in Berlin). Doch wer glaubt, damit einen Sommelier ersetzen zu können, ist auf dem Holzweg. Beratung muss sein, auch, oder vielleicht gerade, wenn 50 Top-Weine offen ausgeschenkt werden. Ohne kompetentes Fachpersonal dreht sich nämlich doch nur der omnipräsente Mainstream. Und der lockt dann auch wieder keinen Weinfreak ins Lokal. Da ist der Ansatz von Jens Pietzonka in Dresden zu loben: Montags gibt’s alles glasweise. Bleiben genügend Tage, die Reste zu trinken. Cheers.

Sascha Speicher [email protected]