„Wir sind Trendsetter“

Seit Jahren entwickelt sich Veltins positiv – entgegen dem Trend. Volker Kuhl, seit 20 Jahren Top-Manager bei Veltins, über die Macht von Kontinuität, die Wirkung von Internet und Globalisierung und die Craftbier-Bewegung. Ein Interview.

Dr. Volker Kuhl ist seit 1995 bei der Brauerei Veltins beschäftigt, seit 1997 als Geschäftsführer Marketing und Vertrieb. / Foto: Veltins

Entgegen dem Trend entwickelt sich Veltins seit Jahren positiv. Wie ist das möglich?

Kontinuität hat die Marke Veltins erfolgreich gemacht – Kontinuität in Bezug auf Mitarbeiter und Unternehmenspolitik gleichermaßen. So arbeitet beispielsweise unsere Geschäftsleitung seit über zehn Jahren in derselben Besetzung zusammen. Einige sind sogar seit beinahe zwanzig Jahren im Team. Genau durch diese lange Erfahrung können wir sehr genau einschätzen, wo unsere Marke steht und wo es echte Entwicklungschancen gibt. Hinzu kommen Kontinuität im Marketing und Vertrieb. Die heute legendäre TV-Kampagne mit Rudi Assauer lief immerhin rund fünf Jahre mit immer neuen Spots. Danach haben wir als erste Brauerei in Deutschland Direktgewinne über Kronkorken eingeführt. Diese Aktion, die es seit bereits fünf Jahren gibt, hat sehr erfolgreich Verkaufsimpulse generiert. Inzwischen sind rund 20 Brauereien in Deutschland mit ähnlichen Kronkorken-Gewinnspielen gefolgt.

Sind nicht deshalb Gewinnspiele über Kronkorken eher Auslaufmodelle?

Die Kronkorken-Aktion hat zwar etwas darunter gelitten, dass immer mehr Brauereien unser Beispiel nutzten, wir halten sie jedoch nach wie vor für sehr effektiv, weil unsere Verbraucher diese Mechanik mögen. Fest steht: Durch die Kronkorken-Aktion haben wir Marktanteile gewonnen – nicht nur im Kernmarkt, sondern auch in den Fernregionen.

Welche Rolle spielt die Individualflasche für die Entwicklung von Veltins?

Wir sind sicher, dass die Einführung der Individualflasche für unser Markenbild und für den Status, den Veltins heute beim Verbraucher hat, die richtige Entscheidung war. Die Individualflasche verursacht zwar ein wenig mehr Aufwand durch die Flaschensortierung, wir fühlen uns jedoch mit der Flasche sehr wohl. Wir sind sicher: Sie ist Teil unseres Markenbildes und Teil der stabilen Entwicklung bei Veltins!

Mit der Steinie-Individualflasche hatte sich Veltins stark auf die Gastronomie in Berlin fokussiert. Warum?

Zwischen der Steinie-Flasche und der Region Berlin gibt es nur eine indirekte Verbindung. Die Flasche zielt auf die junge, szenige Gastronomie und wir versuchen, diese Flasche speziell dort einzusetzen. In Berlin gibt es nun einmal eine ganz besonders szenige Gastro-Landschaft und sehr viele Gelegenheiten, diese Flasche zu positionieren. Deshalb forcieren wir mit dieser Flasche die Region Berlin.

2014 wurde sehr erfolgreich Grevensteiner Landbier eingeführt. Wird diese Range weiter ausgebaut?

Keine Frage, wir sind von dem großen Absatzerfolg überrascht worden. Zunächst hatten wir für Grevensteiner rund 20.000 Hektoliter geplant und haben dann tatsächlich innerhalb nur eines Dreivierteljahres über 50.000 Hektoliter verkauft. Und das, obwohl wir weder Werbung für Grevensteiner gemacht, noch Listungsgelder gezahlt haben. Außerdem wird Grevensteiner teurer verkauft als Veltins. Wir glauben, dass das Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft ist. Aktuell haben wir unser Gebindesortiment um die 0,33 l-Steinie-Flasche im 20er-Kasten erweitert. Für die Zukunft schließen wir nicht aus, neue Sorten zu bringen, sehen aber aktuell noch so viel Potenzial, um mit Grevensteiner auch ohne weitere Sorten zu wachsen.

Ist eine Ausweitung der Distribution geplant?

Wir werden nicht zum Handel gehen und eine Listung in Nord-, Ost- oder Süddeutschland fordern. Wer das Produkt möchte, der kann es bei uns ordern – das ist eine klare Strategie. Natürlich liefern wir es national jedem Händler, denn wir streben an, Grevensteiner durchaus auch außerhalb unseres Kernmarktes zu vertreiben. Aber es bleibt dabei: Wir werden uns keine Listungen kaufen!

Veltins hat mit der Fachmarktkette Dursty rund 200 Getränkeabholmärkte in NRW. Inwieweit werden diese als Testmärkte genutzt?

Wir nutzen die Dursty-Märkte intensiv, um Erkenntnisse über den Bier- und Getränkemarkt zu gewinnen. Dabei gibt uns Dursty einen guten Einblick in die Markt- und Markenentwicklung in NRW. Das nutzen wir sowohl im operativen Tagesgeschäft als auch im Sinne von echter Marktforschung. Wir haben beispielsweise in unseren Dursty-Märkten getestet, wie der neue 20er-Kasten von Grevensteiner von den Verbrauchern angenommen wird, welche Preisstellung sinnvoll ist und ob es Kannibalisierungseffekte gegenüber dem 16er-Kasten gibt. Das Dursty-Engagement gibt ein gutes Gefühl, um am Puls der Zeit, ganz nahe am Verbraucher zu sein.

Internet und Globalisierung haben den Markt und die Konsumgewohnheiten verändert. Wie geht Veltins damit um?

Man muss trennen zwischen der Nutzung des Internets als Kommunikationsmittel und der Nutzung als echten Absatzkanal für Bier. Als Absatzkanal nutzt unsere Branche das Internet noch sehr wenig. Das liegt in erster Linie am Mehrwegsystem. Hier gibt es noch keine echte Lösung, Mehrweggebinde online zu vertreiben. Hinzu kommt eine starke Präsenz unserer Produkte in beinahe jedem Lebensmitteleinzelhandel und Getränkemarkt. Deshalb spielt für unsere Brauerei der Versandhandel übers Internet keine Rolle. Wenn sich allerdings die Spezialitätensegmente beim Bier weiterhin verstärkt durchsetzen, wird auch in der Braubranche dieser Absatzkanal an Bedeutung gewinnen. Und natürlich nutzen wir im Bereich der Kommunikation das Internet ganz selbstverständlich. Hier haben wir entsprechende Auftritte, weisen aber auch auf Gastronomieobjekte hin. Je jünger die Zielgruppe ist, die wir ansprechen wollen, desto mehr gewinnt das Internet an Bedeutung. Verständlich, dass wir bei unserer jungen Marke V+ wesentlich mehr Onlineaktivitäten unternehmen, als bei Veltins oder Grevensteiner.

Welche Rolle spielen die sozialen Netzwerke?

Wir registrieren sehr aufmerksam, was auf Facebook passiert. Hier gibt uns das Internet jedoch keine echten Impulse, die wir als Instrument nutzen könnten. Die jungen Leute sind heute entsprechend der veränderten Mediennutzung parallel mit Internet, Radio und Fernsehen unterwegs. Das Motto heißt: Das eine zu tun, ohne das andere zu lassen. Wenn wir ein neues Produkt auf den Markt bringen, nutzen wir deshalb alle Kanäle zur Werbung.

Animiert das Internet die Verbraucher, neue Produkte zu probieren?

Die Probierfreudigkeit der Konsumenten hat in der Tat deutlich zugenommen. Das hat allerdings eher etwas mit dem Zeitgeist zu tun. Für uns ist es deshalb viel entscheidender, mit dem Handel über Zweitplatzierungen zu sprechen und dort direkt Menschen zu Probierkäufen zu animieren. Neue Sorten allein über das Internet zu kommunizieren, bringt wenig. Vielmehr müssen die Leute die Produkte bei ihrem Einkauf auch finden.

Stichwort Craftbier-Trend in Deutschland. Nehmen Sie die Szene ernst?

Wir freuen uns, dass sich das Craftbier-Segment in Deutschland so positiv entwickelt und sich etabliert. Das ist eine wirklich gute Sache für den Biermarkt und führt dazu, dass die Leute immer probierfreudiger werden. Hier gibt es durchaus Parallelen zum Thema Wein und das ist gut so.
Was wir momentan noch nicht abschätzen können, ist die weitere Entwicklung. Die zentrale Frage bleibt: Nimmt der Verbraucher also dauerhaft den sehr speziellen Geschmack der jungen Craftbiere so an, dass hier ein relevantes Absatzvolumen entsteht? Es gibt heute bereits viele Craftbiere in Deutschland, es gibt jedoch nur ganz wenige, die eine größere Menge verkaufen. Für unsere Brauerei wird das Segment letztlich erst ab einem gewissen Absatzvolumen interessant, deshalb werden wir den Markt weiterhin genau beobachten.

Wie schätzen Sie in diesem Zusammenhang die drei neuen Beck’s-Sorten ein?

Wir finden es spannend, denn Beck’s setzt auf das Craftbier-Thema und will dazu die Einführung der neuen Sorten mit angekündigten Werbemaßnahmen begleiten. Dabei hilft, dass auch die Preisstellung für viele Endverbraucher noch akzeptabel zu sein scheint. Es könnte erstmals eine Öffnung des Craftbier-Marktes geben, hinter dem dann auch entsprechende Volumina stehen, die dann für andere Markenbrauer interessant werden. Vorausgesetzt, die Produkte schmecken den Verbrauchern und finden Akzeptanz! Es gibt ja bekanntlich bereits ähnliche Ansätze von Maisel‘s oder Köstritzer. Fest steht: Bis heute kann hierzulande kaum jemand mehr als zwei oder drei Craftbier-Marken nennen. Es zählt in der Wahrnehmung das Segment als Ganzes, jedoch profilierte Brauer gibt es noch kaum. Wenn es jetzt gelingt, ein Pale Ale oder ein Amber Ale mit der Marke zu verbinden, dann gibt es nicht nur die Biersorten, sondern auch wiedererkennbare Markennamen dazu. Wenn dieses Konzept erfolgreich ist, könnten auch andere Brauer diesen Weg gehen, da bin ich mir ganz sicher.

Was hat den Biermarkt zuletzt am stärksten verändert?

Generell konsumiert der deutsche Verbraucher alkoholische Getränke zunehmend anders als früher. Den höchsten Bierausstoß in Deutschland hatten wir 1990 nach der Wiedervereinigung. Damals kamen rund 25 Millionen Hektoliter aus Ostdeutschland hinzu – zum Ende letzten Jahres fehlten diese 25 Millionen komplett! Wir haben also seit der Wiedervereinigung die gesamte Menge des ostdeutschen Marktes verloren. Unterm Strich hat diese Situation zu einem höheren Preisdruck geführt und die Strukturen in der Branche nachhaltig verändert. Der Verbraucher konsumiert heute punktueller und impulshafter als noch vor zwanzig Jahren. Damals haben sich die Menschen oft jede Woche eine Kiste Bier gekauft und diese zumeist im Wochenverlauf verbraucht. Heute trinken die Leute ihr Bier spürbar unregelmäßiger, aber dafür gern und eher anlassbezogen. Hinzu kommt die demografische Entwicklung, die sich in den nächsten Jahren beim Bierabsatz noch stärker bemerkbar machen wird. Wir sind noch lange nicht am Ende der strukturellen Marktveränderungen.