Hommage an Henricus Knaust: Tobias Hess (v.l.), Torge Olke, Axel Ohm, Nico Döring, Lars Hauck und Sebastian Sauer. Foto: Henning Angerer
Hommage an Henricus Knaust: Tobias Hess (v.l.), Torge Olke, Axel Ohm, Nico Döring, Lars Hauck und Sebastian Sauer. Foto: Henning Angerer

500 Jahre Bierfreak

Würde Henricus „Heinrich“ Knaust heute leben, er wäre wohl Heavy-User bei Ratebeer und Untappd, würde von Bierfestival zu Bierfestival tingeln und seine Erlebnisse vielleicht in einem eigenen Bier-Blog verarbeiten. Was er wohl über die drei Biere geschrieben hätte, die ihm zu Ehren von Tobias Hess (Überquell), Sebastian Sauer (Freigeist Bierkultur) und Nico Döring (Atelier der Braukünste) eingebraut wurden? Würde er ihnen „ein gutes Nutriment“ zuschreiben, von „köstlich gewürzet Bier“ sprechen? 

Wir werden es nicht erfahren, denn Henricus hat im 16. Jahrhundert gelebt. Er war Gelehrter, Dramatiker, Theologe, Advokat, Schriftsteller – und er besaß das Privileg der Reisefreiheit, das er weidlich ausnutzte, um verschiedene Kloster und Brauereien zu besuchen. Kein Umweg war ihm auf seinen Reisen zu groß, um nicht noch einen weiteren Trunk kennenzulernen. Er liebte das Bier. So sehr, dass er darüber schrieb. „Die Kunst Bier zu brawen“ heißt sein Werk, das erstmals 1575 erschien und zu den ältesten und bedeutendsten Bierbüchern der Welt zählt. 150 Bierstile in Deutschland und Europa dokumentierte Knaust. Er beschreibt Zutaten, Geschmacksprofile, regionale Eigenarten. Entstanden ist ein Vermächtnis der reichhaltigen Bierkultur und -vielfalt seiner Zeit. Nur noch wenige Original-Exemplare sind existent. Eines davon findet man im Hamburger „Überquell“. Axel Ohm hat es in einem Antiquariat aufgetrieben und als Highlight in das kleine Biermuseum in der Hamburger Location integriert. 

Ohm ist es auch zu verdanken, dass das Werk des gebürtigen Hamburgers Knaust rechtzeitig zu dessen 500. Geburtstag einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt wird. Unter dem Motto „Who the Fuck is Knaust? 500 years of exploring beer“ feierte das Überquell-Team Ende August mit vielen Gästen den wohl ältesten, prominenten Beerlover der Stadt. Mit dabei war Torge Ulke aus Kiel, der Henricus Knaust für seine Masterarbeit studierte und ein unterhaltsames Bild von Knaust zeichnete: als Lebemann und als Genussmensch, der es verstand, mit wenig Aufwand ein Maximum an Lebensqualität zu genießen. So widmete Knaust die jeweiligen Neuauflagen seines Buches verschiedenen Menschen, die ihn dafür entlohnten und somit seine weiteren Bierreisen finanzierten. 

Auf Torge Ulkes Blog Biergeschichten.de lässt sich in einem interaktiven Bieratlas von 1575 nachlesen, wie Knaust das Bier in den verschiedenen Ecken Deutschlands, von Stralsund bis Würzburg, gemundet hat. Spoileralarm: Besonders angetan war Knaust vom Hamburger Bier. In seinen eigenen Worten: „Das Edle hamburger Bier ist eine Königin unter allen anderen Weitzen oder Weissen Bieren.“ Kein Wunder: Hamburg war im Mittelalter schließlich die Bierstadt schlechthin und trug den Titel Brauhaus der Hanse. Über 500 Brauereien reihten sich Mitte des 16. Jahrhunderts entlang der Fleete. Das Hamburger Bier war weit über die Stadtgrenzen bekannt und eines der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren.

Aber wie hat das Bier Mitte des 16. Jahrhunderts denn nun wohl geschmeckt? Dies zu erkunden hatten sich – inspiriert von Knausts Aufzeichnungen – die drei kreativen Brauer Tobias Hess, Sebastian Sauer und Nico Döring zur Aufgabe gemacht. Ihre historischen Sondersude sind eine Annäherung an das Bier von damals und zeigen vor allem: mehr oder weniger rauchig waren wohl seinerzeit alle Biere, weil das Malz über offenem Feuer gedarrt wurde. Die Technik des indirekten Darrens wurde erst später erfunden. Überquell-Braumeister Tobias Hess, der ein 5,5 Vol.-% starkes „Historic Ale“ kreierte, machte sich viele Gedanken über die Rohstoffe, die den Brauern damals zur Verfügung standen. Von sortenreinen Bieren, so Hess, sei man vor gut 500 Jahren wohl weit entfernt gewesen. Eher hätte man das an Rohstoffen in den Kessel geschmissen, was zur Verfügung stand. Und so braute er sein Jubiläumsbier denn auch gleich mit einem Potpourri aus elf verschiedenen Malzen, darunter historische Spiegelgerste, Chevaliergerste, Roggen-, Einkorn-, Emmer- und Rauchmalz ein. Für die Würze im Bier sorgen unter anderem Meersalz, Lavendel, Kardamom und Wacholder, einiges davon im eigenen Überquell-Dachgarten geerntet. Ein subtil-würziges Bier mit recht schlankem Körper und  feiner Rauchnote, im Vergleich zum Beitrag von Sebastian Sauer geradezu „easy-drinking“.

Sebastian Sauer, der Tausendsassa und First Mover unter den deutschen Kreativbrauern,  schenkte Henricus Knaust zum Geburtstag nämlich eine Braunschweiger Mumme. Der Bierstil hat seine Wurzeln im 15. Jahrhundert und wird als ein starkes, braunes, süßlich schmeckendes und kräftig nährendes Bier beschrieben. Sauers 8,2 Vol.-% starke Interpretation erfüllt all dies. Außergewöhnliche Zutaten wie Wacholderbeeren, Majoran, Thymian, und Holunderblüten sorgen für ein waldig-würziges Aroma, brauner Sirup für die prägnante Süße, die aber von einer leichten Herbe eingefangen wird. Ein wahrhaft stärkender Trunk.

Eine flüssige Mahlzeit ist gewissermaßen auch das Bier, das Nico Döring zum Jubiläum beisteuerte. Sein „Kartoffelbockwurstweizen“, das er gemeinsam mit Lars Hauck, Inhaber einer kleinen Hausbrauerei im Vogelsberg, einbraute, vertraut auf 20 Prozent Kartoffeln in der Schüttung. Das Malz wurde beim örtlichen Metzger geräuchert, und der Dorfbäcker verarbeitete den Treber zum perfekten Brot-Pairing. Schön cremig im Trunk, mit einer deutlichen Rauch- und Specknote und trotz der 6,3 Vol.-% einem schlanken Körper. Da sei den beiden Kreateuren auch die kleine geschichtliche Ungenauigkeit verziehen, dass die Kartoffel erst um 1630 ihren Weg nach Deutschland antrat. Da hatte der Bierfreak Henricus Knaust seine flüssigen Erkundungen durch die deutsche Bierlandschaft bereits beendet.   

Bieratlas von 1575 mit Bier-Beschreibungen von Henricus Knaust: biergeschichten.de/bieratlas/
Sixpack mit den limitierten Sonderbieren: shop.ueberquell.com
 

Torge Ulke aus Kiel studierte Henricus Knaust für seine Masterarbeit und zeichnete ein unterhaltsames Bild von Knaust: als Lebemann und als Genussmensch, der es verstand, mit wenig Aufwand ein Maximum an Lebensqualität zu genießen. Fotos: Henning Angerer

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