Im Auftrag der Ninkasi

Nach Jahrhunderten der Abstinenz liegt Bier bei Frauen wieder im Trend. Immer mehr von ihnen ergreifen den Brauberuf, übernehmen die Sudhäuser ihrer Väter oder brauen zu Hause im Keller.

Die Hamburgerin Natalie von Freude hat ihre Leidenschaft für Bier entdeckt und ihr eigenes Label „Von Freude“ gegründet. Foto: David Daub

Eigentlich waren es die Mönche, die den Frauen das Bierbrauen ausgetrieben haben. Von der Antike bis ins Mittelalter war die Verarbeitung von Hopfen und Malz über Jahrtausende meist Frauensache. Das Brauen gehörte zur üblichen Hausarbeit. Grabfunde sowie Inschriften auf Steintafeln und Papyrusrollen belegen, dass Frauen schon vor 4.000 Jahren in Mesopotamien und Ägypten als alleinige Herrinnen den Sudkessel dominierten. Bei den Babyloniern, die das Bier erfunden haben sollen, schrieben Poeten großartige Hymnen auf die Biergöttin Ninkasi. Bei den Germanen hielt sich lange das Gerücht, dass sogar Odins Göttergattinnen höchstpersönlich den Braulöffel führten. Auch Luthers Ehefrau Katharina von Bora hatte noch den Brauerinnenberuf erlernt und bediente den trinkfreudigen Reformator mit eigenwilligen Rezepturen.

Bis in das Mittelalter hinein erhielten Frauen zur Hochzeit häufig einen Braukessel einschließlich Läuterbottich geschenkt. Auch in den Brauhäusern begegnete man nur zarter Weiblichkeit. Erst als die Klöster im Bierausschank eine lukrative Einnahmequelle entdeckten, verdrängten die Diener Gottes die Brauerinnen zunehmend vom Kessel und nahmen den Rührlöffel in Hand. Nur in den Nonnenklöstern durften die Ordensschwestern weitermachen. Auch als die ersten privaten Braustätten entstanden, blieb das Bier weitgehend Männersache.

Bier-Unis

Inzwischen hat die Craftbier-Szene hierzulande vieles verändert: Immer mehr Frauen entscheiden sich für den Brauberuf oder übernehmen gleich ganze Brauereien. Bier-Unis wie Weihenstephan und Berlin registrieren ein wachsendes Interesse von Bewerberinnen. Frauen buchen mehrtägige Braulehrgänge, treffen sich zu gemeinsamen Degustationsrunden, gründen Stammtische und bundesweit agierende Biervereine. Eine dieser neuen Gruppierungen, die „Barley’s Angels“, verfolgen eine ganz spezielle Zielrichtung: „Bier war lange Zeit eine reine Männerdomäne“, sagt Esther Isaak, Angel-Mitgründerin und Inhaberin des Hamburger Craftbier-Shops „Bierland“. „Wir wollen beweisen, dass auch Frauen eine erstzunehmende Zielgruppe für die neuen Bier-Spezialitäten sind.“

Genussaffin

Ein starkes Interesse der Weiblichkeit am Bier registriert auch Christoph Kämpf, Präsident des Verbands der Diplom Biersommeliers. Er führt diese Begeisterung unter anderem darauf zurück, dass die Biervielfalt in Deutschland zunimmt und inzwischen viele internationale Spezialitäten mit ganz besonderen Aromen erhältlich sind. Viele der neuen Bierspezialitäten würden insbesondere Frauen ansprechen. Aber für Kämpf ist auch eines klar: „Frauen haben eine viel höhere Affinität zu Genussthemen und verfügen meist über ein besser ausgebildetes Geschmacksempfinden als Männer.“ Das sei inzwischen medizinisch erwiesen.

Dieser Trend hat außerdem ökonomische Auswirkungen. So freut sich der Sommelier-Präsident darüber, dass das Craft- Feuer nun auch auf die Frauen übergesprungen ist und sie zahlreiche Tastings oder Seminarangebote der Sommelier-Institute wahrnehmen. Auch die Anzahl weiblicher Bier-Sommeliers steigt in Deutschland kontinuierlich an, wie Kämpf bestätigt. Gab es allein bei der Doemens-Schule, einer der führenden Ausbildungsstätten der Branche mit Sitz in Gräfelfing bei München, im Jahre 2004 noch lediglich eine Teilnehmerin, so stieg die Zahl inzwischen auf rund dreißig Absolventinnen pro Jahr.

Vielfalt als Offenbarung

Lisa LugingerAuch das alte Vorurteil, dass Frauen eigentlich gar kein Bier mögen, ist längst widerlegt. Nach einer jüngsten Studie der Centralen Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) schätzen zwei Drittel der erwachsenen Frauen wieder gutes Bier. Dennoch lassen sich die vielen Vorurteile rund um der Deutschen liebstes Getränk nicht ausradieren. An dumpfen Stammtischen gilt meist noch immer: Bierbrauen ist Männersache. Von diesem Unsinn lässt sich Natalie von Freude nicht abschrecken. Die 33-jährige Bürofrau schmiss für ihre Leidenschaft zu selbstgebrauten Malzgetränken vor zwei Jahren sogar ihren Job hin, um gemeinsam mit ihrem Freund die Marke „Von Freude“ zu gründen. „Nachdem ich jahrelang kein Bier mochte, weil mich der Geschmack von Fernsehbieren abschreckte“, so die Hamburgerin, „empfinde ich die neue Biervielfalt als eine einzige Offenbarung.“

Auch Lisa Luginger ist dem Zauber der Craftbiere erlegen. Als die 28-jährige Journalistin an einem Dokumentarfilm über die Gerstensaftkultur in Bamberg mitarbeitete und dabei mit einem Kamerateam in die USA flog, konnte sie erstmals diese handwerklich hergestellten Hopfensäfte probieren. Das kreative Aromenspiel moderner Biersorten hat die fränkische Medienfrau derart begeistert, dass sie beschloss, sich diesem Thema auch beruflich zu widmen. „Ich war damals total verliebt in diese Biere“, schwärmt die Bambergerin noch immer. Daraufhin begann sie spontan eine Ausbildung zur Bier-Sommeliere und entwickelte daraus eine eigene Geschäftsidee. In Seminaren und Verkostungen gibt sie jetzt bundesweit ihr Wissen weiter.

Zum Brauen berufen

Aber Natalie von Freude und Lisa Luginger sind nicht die einzigen Frauen, die ihre Leidenschaft zum Beruf machen. Die Hochschule in Weihenstephan, älteste Bieruniversität der Welt, registriert ebenfalls ein wachsendes Interesse von Bewerberinnen, die sich für den Beruf am Sudkessel entscheiden. Mittlerweile liegt der Anteil bei etwa 15 Prozent. „Frauen wählen in der Regel viel bewusster den Brauberuf als männliche Studierende und sind mit großem Enthusiasmus dabei“, urteilt Manuela Stöberl, Geschäftsführerin der Studienfakultät Brau- und Lebensmitteltechnologie der TU in Weihenstephan.

Aber es muss beim Bierbrauen nicht immer akademisch zugehen. Auch aus heimischen Kellern und Garagen wabert inzwischen der Duft von Hopfen und Malz. Hier schwingen junge Bierenthusiastinnen den Braulöffel und schaffen ganz beeindruckende Sude. Das zeigt der Hobbybrauer-Wettbewerb, der erstmals im September dieses Jahres in der „Camba Old Factory“ im schwäbischen Gundelfingen stattfand. Dort sitzen inzwischen zahlreiche Frauen in der Jury und beurteilen mit sensibler Zunge die dort eingereichten Individualsude. Dasselbe gilt für die Jury des Meininger International Craft Beer Awards und die Preisrichter des European Beer Star.

Biermarkt-Analysten sehen eines klar: Das Interesse der Frauen am Gerstensaft wurde hierzulande erst wieder durch die Crafbier-Bewegung der vergangenen Jahre neu entfacht. Darüber freuen sich auch die Inhaber von Online-Shops, die sich auf den Vertrieb von Brau-Equipment spezialisiert haben. Auch sie verzeichnen eine wachsende Kaufdynamik bei Freizeitbrauerinnen. Zwar gibt es in dem jungen Markt für Kreativbiere hierzulande noch keine verlässlichen Zahlen, aber Christian Herkommer, Inhaber des Hobbybrau-Versands „Hopfen und mehr“ kann bestätigen: „Immer mehr Kundinnen bestellen bei uns die zum Homebrewing erforderlichen Rohstoffe sowie Malzmühlen und Braukessel.“

Kirschbier und Porter

Über den Frauentrend freut sich auch Matthias Thieme, Inhaber des Münchner Craft-Shops „Biervana“. Der ehemalige Microsoft-Manager, der aus seiner Liebe zu ungewöhnlichen Hopfensäften eine Profession machte, sieht in der Geschmacksvielfalt der neuen Kreativbiere, mit Aromen von tropischen Früchten, Schokolade, Kaffee oder Marzipan, einen Trend, der immer mehr Genießerinnen anspricht: „Während Frauen anfangs nur einen besonderen Drink für ihren Partner suchten, kaufen sie nun auch seltene Kirschbiere aus Belgien, fruchtige Pale Ales aus Kalifornien oder malzige Porter aus England für den eigenen Genuss.“

Während Shops und Szene-Bars florieren, wird auch das traditionelle Brauhandwerk zunehmend zur Frauensache. Seien es die Schwestern Kathrin und Stephanie Meyer von der „Braukatz“ aus Nesselwang im Allgäu, Sabine Thaler von „Camba Bavaria“ in der Nähe des Chiemsees, Tanja Leidgschwendner von der „Brauerei im Eiswerk“ in München oder die „Bierfeen“ aus dem oberfränkischen Hof, die in einem Frauen-Quartett ganz ungewöhnliche Hopfenspezialitäten entwickeln. All diese Frauen konnten sich mit modernen Rezepturen in einem von Standardpils dominierten Markt durchsetzen. „Wer einmal den Duft nach gebackenen Bananen, Pflaume und Mirabelle in der Nase hatte, den Geschmack von Karamell-, Birnen- und Pfirsichnoten auf der Zunge spürte, wird sich schnell für unsere Frauenbiere begeistern können“, sagt Gisela Meinel von den fränkischen „Bierfeen“.

Mit der gleichen Leidenschaft steht auch Tina Dingel am Sudkessel. Für die Berliner Hobbybrauerin ist es eine besondere Herausforderung, ihr eigenes und ganz spezielles Bier zu kreieren. Sie beschreibt ihre Passion als eine permanente Jagd nach dem perfekten Geschmack. Damit begeistert sie – wenngleich bislang nur in kleineren Mengen – auch immer wieder Freunde und Familie. „Kaum bin ich mit einem Sud fertig“, sagt die 40-jährige Produktmanagerin, „schon muss ich den nächsten aufsetzen.“

In Vaters Fußstapfen

Doris EngelhardWährend die Berlinerin mit ihren Kreationen noch am Anfang steht, konnten einige ihrer Kolleginnen bereits den Traum vieler Männer realisieren: Sie reihen sich ein in die Stammbäume ihrer Väter und führen die eigene Familienbrauerei weiter. Isabella Straub, Chefin der „Drei Kronen Brauerei“ in Memmelsdorf, ist eine dieser Aufsteigerinnen. Aber auch Yvonne Wernlein von der Haberstumpf Brauerei in Trebgast oder Marlies Bernreuther, die Erbin der renommierten Pyraser Landbrauerei in Mittelfranken. Die 37-Jährige bekam im vergangenen Jahr sogar einen „Emotion Award“ im Bereich Unternehmensnachfolge überreicht. Auch ihre neue Bierserie „Herzblut“ mit ausgeprägten Noten von Vanille, Marzipan und Ingwer, konnte bereits viele Ehrungen verbuchen.

Eine echte Ausnahmeerscheinung in Deutschlands Bierszene ist jedoch Doris Engelhard. Als Schwester Doris fungiert sie als Braumeisterin in der Klosterbrauerei Mallersdorf, mitten in der Pampa zwischen Regensburg und Landshut – und das mittlerweile seit mehr als fünfzig Jahren. Jährlich produziert sie dort in der „Kongregation der Armen Franziskanerinnen“ mit einer Handvoll schwesterlicher Helferinnen kaum mehr als 2.000 Hektoliter feinster Regionalspezialitäten. Die Rohstoffe für das Malz stammen teilweise aus eigenem Anbau. Eine Mälzerei ist Bestandteil des Klosters. Ihre ganze Liebe aber gilt dem Bock. Wer die Franziskaner-Nonne mit Schleier und schwarzem Gewand zwischen ihren beiden Kupferkesseln oder im eiskalten Lagerkeller hantieren sieht, bekommt bereits eine leise Ahnung von der Qualität ihrer Klosterbiere. Ihr Lebensziel hat sie abgesteckt: „Ich werde so lange brauen, wie ich irgendwie arbeiten kann.“