Durch die Wüste

Frisch gezapft kann man die Biere von Carakale auf der Terrasse des Tastingrooms mit Blick weit über das Land genießen (Foto: Marcus Schoft)

Laut ratternd transportiert das selbstgebaute Förderband Kilo um Kilo Malz zur Mühle. Kontinuierlich rieseln die Körner in das Mahlwerk, werden zerkleinert und landen im dampfenden Kessel. Jordan Wambecke, der Braumeister, schaut skeptisch: „Das ist immer der kritische Moment. Die chinesischen Stahlkessel sind gut, aber an denen muss sich auch nichts bewegen“, erklärt der Braumeister. „Aber die Mühle ...“ Während er noch spricht, bricht eine Blechklappe scheppernd auf. „Mohammed“, ruft Jordan durch die Halle. Es staubt. Malzkörner fallen neben dem Kessel auf den Boden. Ein kleiner Ägypter kommt angerannt, mit einem Satz ist er auf dem großen Kessel, jeder Handgriff sitzt: 
Mit einem Klebeband fixiert er die blecherne Abdeckung wieder vor der seitlichen Öffnung so als hätte er das schon öfter gemacht. Dabei reden die beiden kein Wort. Jordan aus dem amerikanischen Bundesstaat Wyoming, mit seinem Basecap und dem Schnauzer, versteht eh kein Wort Arabisch. Mohammed, aus dem ägyptischen Hinterland, kann kein Englisch. Aber die beiden sind eingespielt. Auch wenn sie sich nicht verstehen, verstehen sie doch die Technik und kennen die Eigenheiten aller Maschinen. Die sind alle selbstgebaut, vom Chef persönlich entworfen. Denn der hat Großes vor: Er hat die erste jordanische Brauerei auf die Beine gestellt.
Der Mann, der hier mit Carakale den Geschmack einer ganzen Region revolutionieren will, der Chef der Brauerei, sitzt hinter einer großen Glasfront im ersten Stock der großen Lagerhalle und beobachtet die Situation. Beunruhigt scheint Yazan Karadsheh nicht zu sein. Der junge Jordanier mit schwarzen Haaren, in denen schon ein wenig Grau schimmert, sitzt an der Bar des betriebseigenen Tasting- Rooms. Seine beiden Smartphones liegen am anderen Ende des Tresens. Dass sie ständig vibrieren, scheint ihn nicht zu stören, während er sein frisch gezapftes Pale Ale genießt.

Carakale-Chef Yazan Karadsheh (rechts) und sein Braumeister Jordan Wambecke (Foto: Marcus Schoft)Fünf Mann starkes Team

Man sieht Yazan an, dass ihn die vergangenen vier Jahre haben altern lassen. Kein Wunder: Immerhin tritt er mit seinem inzwischen fünf Mann starken Team gegen das Monopol von Heineken an. Zwei Mal die Woche wird bei Carakale Bier gebraut. In drei 12.000-Liter-Tanks lagern die aktuellen Sorten. Pale Ale, Blonde Ale und Coffee Porter. Im Brauhaus können 6.000 Liter auf einmal gebraut werden. Theoretisch ist die Anlage auf 10 Millionen Liter pro Jahr ausgelegt. Die Dimensionen zeigen: Yazan hatte einiges vor, als er vor vier Jahren mit ein paar Freunden und dem Geld seines Vaters begann, die Brauerei aufzubauen. Als Marketingchef, Vertriebsleiter, Ingenieur, Finanzchef und vor allem als Braumeister hat er angefangen. Die Rezepte hat er sich selbst ausgedacht. Damals noch im Garten seiner Eltern. Die kleinen Kessel zum Test-Brauen stehen immer noch in einem separaten Raum der inzwischen 30 Hektar großen Fabrikhalle. Doch für seine Leidenschaft, das Brauen, hat Yazan inzwischen nur noch wenig Zeit. Vielmehr muss er sich um das Organisatorische kümmern. Und das ist der schwierigste Part in Jordanien.

Die Maschinen sind Marke Eigenbau, entworfen vom Chef selbst (Foto: Marcus Schoft)„Wenn man es unternehmerisch betrachtet, ist das hier eigentlich totaler Selbstmord“, erklärt Yazan. „Natürlich hätten wir das alles viel schneller und einfacher schaffen können, aber Schmiergeld wollten wir eben nicht zahlen“, erklärt der 36-Jährige. Dennoch sei es finanziell alles andere als einfach. Yazan redet davon, dass er im vergangenen Jahr mehr als eine Million Euro an Steuern bezahlt hat. Viel Geld für die Maschinen blieb da nicht mehr. Trotzdem hat er es geschafft: Er braut Bier in Jordanien und vermarktet es im großen Stil. Dabei kann Jordanien durchaus als das perfekte Gegenbeispiel für Bierkultur gelten; ein Land, in dem jede Form von Alkohol als moralisch verwerflich gilt; wo Bier nur in wenigen Bars zu finden ist und wenn, dann nur für acht bis zehn Euro pro Flasche. Von Blonde Ale, Pale Ale oder gar Weizen hat in dem Land kaum einer je gehört. Doch genau das sind die Sorten, die Carakale anbietet.

Blick über den Canyon

Die große Lagerhalle, die Yazan für seine Brauerei bauen ließ, liegt einige Kilometer außerhalb der jordanischen Hauptstadt Amman. Wenn sich Yazan in seinem Tasting- Room umdreht, kann er seinen Blick durch eine weitere Glasfront über einen riesigen Canyon gleiten lassen. Dass die Brauerei etwas abgelegen liegt, ist kein Zufall. „Wir haben drei Jahre gebraucht, um überhaupt eine Genehmigung zu bekommen“, erklärt der Unternehmer. Und jedes Mal, wenn die Grundstücksverkäufer erfahren hätten, dass auf ihrem Land eine Brauerei entstehen soll, hieß es auf einmal: „Ich verkaufe nicht“. Fündig geworden ist Yazan schließlich in Fuhais, einem kleinen Ort nordwestlich von Amman. Wie auch Yazans Familie haben sich Christen hier schon vor Jahrhunderten angesiedelt und bis heute sind Muslime in dem Ort in der Minderheit. Die kleinen alten Steinhäuser schmiegen sich eng an die steil abfallenden Hänge des Jordantales.
Schaut man in die Geschichtsbücher, soll die Geburtsstätte des Gerstensaftes nicht weit sein. Ziemlich genau in dieser Gegend muss irgendein Sumerer, Babylonier oder Assyrer den ersten Gerstensaft gebraut haben. Einige Forscher datieren die ältesten Überreste von Bier in der Region auf das zweite und dritte Jahrtausend vor Christus. Zwar sind sich die Historiker nicht einig und vermuten, dass Bier auch noch viel älter sein könnte, Yazan aber ist sich sicher: „Hier ist die Wiege des Bieres und hierher wollte ich es zurückbringen.“ Yazan ist nicht weit von hier aufgewachsen, mit 18 ist er jedoch fürs Studium in die USA gegangen. „Mein Vater wollte unbedingt, dass ich Ingenieur werde, das hat mir eigentlich gar keinen Spaß gemacht, aber ich musste es beenden“, erzählt Yazan, der allerhöchstens drei Bier getrunken hat, bevor er in die USA gegangen ist, wie er sagt. Bier zu brauen, daran hatte er damals nicht mal im Traum gedacht. Die Idee sei ihm erst zum Ende seines Studiums gekommen. „Ich hatte einfach keine Lust zu lernen und da hab ich in der Bibliothek dieses Buch über die Biersorten der Welt gefunden“, sagt Yazan. Natürlich habe er als Allererstes nach dem Bier seiner Heimat gesucht. Aber da war nichts.

Ausgelegt ist die Brauerei Carakale auf zehn Millionen Hektoliter im Jahr (oben) (Foto: Marcus Schoft)

Dattelsirup und Kaffee

„Man muss sich das so vorstellen“, setzt Yazan an, „Biertrinken in Jordanien ist, wie ein und denselben Song immer und immer wieder zu hören.“ Es gibt nur eine Brauerei. Die gehört zu Heineken und produziert für den Massengeschmack, erklärt der Jordanier. Hinzu kommt eine muslimische Gesellschaft. Fünf Mal am Tag hört man den Muezzin, selbst in Fuhais. „Mein Ziel ist es, dass die Leute in einen Laden gehen und Bier kaufen, als wäre es ein T-Shirt. Also eines aussuchen, das ihrem Geschmack entspricht oder der Situation, in der sie es trinken wollen.“ Aber bis dahin sei es noch ein langer Weg, denn „die Leute hier sind wie kleine Babys, man muss ihnen das Biertrinken erst beibringen“.
Yazan möchte mit seinem Bier einen ganz eigenen lokalen Geschmack kreieren. Gerade gärt eine neue Version Pale Ale in einem der drei 1.300-Liter-Tanks. Es ist mit Dattelsirup und Kaffeebohnen gebraut – die lokale Note. Allein mit dem Wasser, das es hier gibt, wäre das nicht zu schaffen, denn das ist Mangelware in einem der wasserärmsten Ländern der Welt. Ist die Zisterne der Brauerei leer, muss Yazan erst mal einen Tanklaster bestellen. Aber wenn der nicht kommt, gibt’s eben kein Wasser. „Wir mussten schon einige Brautage absagen, weil wir kein Wasser mehr hatten.“ Solche Widrigkeiten sind es, die das Unternehmen immer wieder fastscheitern ließen. So sei es zum Beispiel mehrmals passiert, dass ein Installateur nach halber Arbeit alles stehen und liegen gelassen hat. „Nur, weil irgendein Scheich sagt, es sei verboten, Bier zu brauen“, erklärt Yazan.

In der Vier-Millionen-Stadt Amman leben Muslime und Christen gemeinsam. Nur wenige Bars, wie diese in der Rainbow Street, der Ausgehmeile von Amman, schenken Bier aus (Foto: Marcus Schoft)

Dem „Wasta“ sei Dank

Probleme mit religiösen Autoritäten seien aber nur die kleinste Schwierigkeit. „Viel schlimmer ist die ganze Korruption“, sagt Yazan. Die Genehmigung, überhaupt mit dem Brauen zu beginnen, verdankt Yazan seinem Anwalt und dessen „Wasta“ – so nennt man es hier, wenn jemand jemanden kennt, der wiederum jemanden kennt, der einem noch einen Gefallen schuldig ist. Das ist auch der Grund, warum er die Smartphones doch nicht ganz ignorieren kann. Die ganze Zeit haben sie vibriert. Jetzt muss Yazan wirklich los. Sein Vater sitzt mit dem Vizebürgermeister der Nachbargemeinde im Restaurant und wartet.

Außerdem muss er nochmal bei seinem Techniker vorbeischauen, der gerade versucht, die selbstgebaute Kronkorken- Maschine zu reparieren. Vorbei an der Abfüllanlage und den großen Tanks hastet Yazan zu der Maschine, dann zu seinem Jeep. Er lässt die große Wellblechhalle am Rande des Canyons hinter sich. Das Restaurant ist am oberen Ende von Fuhais, knapp 500 Meter höher. Ein schicker Neubau. Kronleuchter glitzern an der Decke, es gibt kein Gericht unter 15 Euro, vor der Tür wartet der Parkservice. Nur in solchen Lokalen findet man die Klientel, die sich überhaupt Bier leisten kann. Und natürlich möchte Yazans Vater ein schönes Ambiente bieten, wenn die lokale Prominenz die neueste Kreation probiert. Die beiden Herren trinken schon das zweite „Kristalweizen“. Der Druckfehler auf dem Etikett ist keinem von beiden aufgefallen. Als Yazan hinzustößt, will auch er noch schnell ein „Kristalweizen“ bestellen. Doch der Kellner schaut ihn nur verständnislos an. „Waysen? Carakale? Wir haben Amstel.“ Yazan schüttelt mit dem Kopf: „Entweder sie wissen es einfach nicht, oder sie wollen einem das Amstel andrehen“, erklärt er das Biergeschäft in Jordanien. Zuletzt habe der Marktführer Amstel die kleineren Bars gewarnt: Wenn sie Carakale verkaufen, bekämen diese eben kein Bier mehr von ihnen. „Das kann sich keine Bar leisten, denn die Leute kennen ja nur Amstel. Und was sie nicht kennen, trinken sie nicht“, erklärt Yazan. Er weiß zwar, dass es noch ein langer Weg ist, aber insgeheim hofft er, dass es nicht 500 Jahre dauert, bis jeder im Land Pils, Pale Ale, Blonde Ale und Weizen unterscheiden kann.

Die Brauerei liegt einige Kilometer außerhalb von Amman. Es hat Jahre gedauert, bis es eine Genehmigung zum Brauen gab (Foto: Marcus Shoft)