Best Friends

Anders als der 3.000 Meilen entfernte große Namensvetter an der Westküste hat die Kleinstadt Portland im Bundesstaat Maine international kaum einen Ruf. Dabei ist die Brauerei-Szene dort wirklich fantastisch.

Bunt, wild und hochkreativ – wie bei der Brauerei Bissell Brothers geht es in der gesamten Craftbrauer-Szene Portlands zu. / Credits: Bissell Brothers

"Wir in Maine trinken viel!“, ruft Tim Adams voller Stolz. Der Chefbrauer der Oxbow Brewery, die sich an der süd-belgischen Tradition der Farmhouse-Brauereien orientiert, ist einer der kreativen Köpfe, die heute dafür sorgen, dass der Durst in der kleinen Stadt an der Ostküste stets gestillt wird. Denn dieser hat historisch gesehen einen guten Grund: Portland, Maine, bildet nämlich den Ursprung für die Idee der Prohibition. Als eines Tages Portlands Bürgermeister Neal Dow, der als „Napoleon der Abstinenzbewegung“ in die Geschichtsbücher einging, einen Zeitungsjungen völlig betrunken durch die Straßen ziehen sah, war es um Portland geschehen. Nach zwei gescheiterten Versuchen bekam Portland im April 1851 als erste Stadt der USA die Fesseln der Prohibition zu spüren. „Wir haben also viel aufzuholen“, pfl ichtet Chresten Sorensen von der Bunker Brewing Company seinem Kollegen bei.

Der Boom der Mikrobrauereien begann vor gut 20 Jahren und ging Hand in Hand mit einer kreativen und schmackhaften Küche, die damals bereits zahlreiche nationale Restaurant-Auszeichnungen einheimste. Denn wo hochwertige Küche zu finden ist, steht es um die Qualität der Getränke meist auch nicht schlecht. Den Ruf als kulinarische Perle hat sich Portland seitdem erhalten können. Die stetig steigende Zahl an Craftbrauereien – allein innerhalb der letzten fünf Jahre hat sich die Zahl verdreifacht – trägt ihren wesentlichen Teil dazu bei. Und ein Ende des Booms ist nicht in Sicht. Kein Grund also, sich hinter dem gut zehnmal so großen Portland im Bundesstaat Oregon zu verstecken, das landesweit mit einer enorm hohen Brauereidichte als „Beervana“ gehandelt wird. Zumal: Das kleine Portland in Maine hat mit Rob Tod und Alan Pugsley zwei Pioniere aufzubieten, deren Brauereien Allagash und Shipyard Brewing Company mittlerweile internationale Anerkennung genießen.

Was in Maine gemacht wird, bleibt in Maine

Geoff Masland und Tim Adams, Gründer der Farmhouse-Brauerei Oxbow: Experten für fassgelagertes Saison-Bier. / Credits: Oxbow

Die ganze Stadt dreht sich um Essen und Trinken. Der Tourismus boomt, gerade im Sommer, wenn viele Läden zum Bersten voll sind. Neben der Anzahl und Vielfalt der Gastronomien ist es vor allem eine Tatsache, die die Leute anzieht: Die angebotenen Biere und Gerichte findet man nirgendwo anders. Die Menschen aus Portland sind sehr bodenständig und legen besonderen Wert auf lokal erzeugte Produkte und Zutaten. Von den gut 60 Brauereien im Bundesstaat Maine exportieren weniger als ein Drittel ihre Biere über die Bundesstaatsgrenze. „Was in Maine gemacht wird, bleibt in Maine, und wenn ihr es wollt, müsst ihr zu uns kommen“, sagt Peter Bissell von Bissell Brothers. „Wir hier in Maine leben in einer Seifenblase und produzieren hauptsächlich für uns“, fährt er fort. Ein Markenzeichen für die gesamte Region und insbesondere für die Bierbrauer ist der starke Zusammenhalt. „Wir sind alle ganz normale Jungs und Mädels, die sich seit der Grundschule kennen. Wir leben quasi alle um die Ecke und helfen uns aus, wo wir können“, so Peter Bissell. Ein technischer Defekt an einer der Maschinen? Im Nu sind die Kollegen zur Stelle, stehen mit Rat und Tat zur Seite – und manchmal auch mit einem Leihgerät, um die Produktion wieder hochfahren zu können. Auch die Rohstoffe werden munter gehandelt: „Wenn Oxbow zum Beispiel Hopfen übrig hat, der es nicht in den Sud schafft, kaufen wir ihnen etwas ab und fertigen daraus eine kleine Sonderabfüllung. So bleibt nichts liegen“, fährt Bissell fort.

Rivalität? Wozu!

Bei so viel Zusammenhalt und Austausch ist es klar, dass man sich von Zeit zu Zeit auch am Braukessel trifft, um gemeinsam ein Kollaborationsbier zu kreieren. Dabei werden eigene Hefekulturen und distinkte Hopfen von zwei Brauereien kombiniert und geschaut, was als Resultat entsteht. Manchmal kommt es als Sonderabfüllung auf den Markt, manchmal bleibt es beim einmaligen Probesud.

Auffällig an der Portland-Szene ist, dass es sehr wenig Rivalität zwischen den Brauereien zu geben scheint. Bei genauerer Betrachtung wird klar, warum: Fast alle spezialisieren sich auf einen oder zwei bestimmte Bierstile. Oxbow etwa widmet sich ganz dem fassgelagerten blonden Saisonbier. Bissell Brothers wollen das frischeste und spritzigste India Pale Ale brauen. Bunker Brewing wiederum geht es hauptsächlich um Pils, und Rising Tide braut nach guter Ale-Tradition.

Saisonale Biere sind in den USA und natürlich auch in Portland mittlerweile ein Standard. In kleiner Anzahl wird ein Bier gebraut, das sich der Jahreszeit perfekt anpasst. Dabei gelangen Zutaten und Aromen ins Bier und an den Gaumen, die man besonders in Deutschland so nicht erwartet. Winter Ales mit Orange, Zimt, Koriander etwa oder Summer Ales mit Zitronengras. Diesen Freifahrtschein querbeet durch die Welt der Geschmäcker nutzen die US-Brauer intensiv, die Bandbreite an verschiedenen Stilen und Aromen ist immens. Häufig kommen die US-Craftbiere mit höherem Alkoholgehalt um die Ecke, jedoch nicht um der reinen „Umdrehungen“ willen, wie die Brauer beteuern. Die Volumenprozent seien dem volleren Mundgefühl und dem verbesserten Geschmacksprofil geschuldet, was den Amerikanern mehr liege.

Brau-Assistent Joe Watts am Kessel der Bunker Brewing Company, die sich auf alte Pilsner-Rezepte spezialisiert hat. / Credits: Bunker Brewing-Company

Marktforschung mit Growler

Dieser generellen Tendenz zum Trotz zeichnet sich aktuell ein deutlicher Trend zu Bieren mit weniger Alkohol ab. „Im Frühling und Sommer will man nicht immer heftiges, überwältigendes Bier trinken. Eher etwas Frisches, das man wiederholt genießen kann, ohne sich darum zu sorgen, das Auto nach dem zweiten Bier stehen lassen zu müssen“, sagt Heather Sanborn, die gemeinsam mit Nathan Sanborn die kleine Brauerei Rising Tide betreibt und zudem Präsidentin der Maine Brewers’ Guild ist, in der sich die Handwerksbrauereien des Staates organisieren.

Ein weiterer Trend, dem man in Deutschland in dieser Form selten begegnet, sind die sogenannten „drinking halls“, welche an die Brauereien gekoppelt sind und in denen nur die hauseigenen Biere ausgeschenkt werden. Zu ihrem Erfolg hat ein Gesetz beigetragen, das 2009 in Maine erlassen wurde und den Brauereien seitdem erlaubt, ihre Biere in 1,9-Liter-Flaschen (die sogenannten „Growler“) braufrisch an Kunden abzufüllen. Äußerst beliebt bei der ständig wachsenden Anzahl an Touristen und Stammkunden, die das Bier auf diese Weise frischer denn je genießen können.

Die Brauereien wiederum wissen diesen Service geschickt für sich zu nutzen und testen mithilfe der „Trinkhallen“-Gäste und Growler-Käufer Bier-Prototypen. Kommt ein Bier sehr gut an, ist dies eventuell das neue Produkt des folgenden Jahres. Das dann wohl zum überwiegenden Teil wieder in Portland konsumiert wird. Schade eigentlich!