Neues Bewusstsein für Genuss

Komasaufen, Alcopops, der Rausch als Flatrate - Alkoholkonsum und Missbrauch sind ein viel diskutiertes Thema. Um den sinnvollen Umgang mit Alkohol und insbesondere dem Wein ging es bei einem von der Deutschen WeinAkademie (DWA) veranstalteten Symposium auf der INTERVITIS INTERFRUCTA.

»Der Wein ist eng mit der abendländischen Kultur verbunden«, sagte Prof. Dr. Hans-Rüdiger Vogel , Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der DWA, in seiner Begrüßungsansprache. »Er ist Ausdruck einer Kultur, eines Lebensstils.« Wichtig sei daher, »das unstrittige Problem mit dem Alkohol richtig anzugehen«, gerade im Hinblick auf das »zunehmend riskante Verhalten von Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren«. Den Missbrauch einzudämmen sei eine »bedeutende gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der Politik, Wissenschaft und Branche an einem Strang ziehen müssen.« Eine rein restriktive Alkoholpolitik indes verfehle regelmäßig ihr Ziel. Vielmehr gelte es, »einen mühsameren, aber besseren Weg« zu finden, der von allen Beteiligten verlangt, über den eigenen Tellerrand zu schauen.«

Als Einstieg in die Diskussion gab der unter anderem an der FU Berlin tätige Soziologe und Historiker Prof. Dr. Hasso Sprode einen Überblick über »Trinkkulturen gestern und heute«. Welche Risiken eine Gesellschaft dem Alkoholkonsum zuschreibe, sei »hochvariabel« und weise im Laufe der Geschichte eine wellenartige Bewegung auf, während regionale Trinkkulturen relativ stabil blieben. »Was heute gilt, kann morgen schon Unsinn sein«, sagte Sprode. »Heute leben wir wieder in einer äußerst alkoholkritischen Phase. Der gesamte Zeitgeist ist von Ängsten geprägt.« Dies erkläre auch das wiederkehrende Phänomen der so genannten Temperenz, die im Alkohol ein absolutes Gift sehe. »Das Temperenzideal hilft sozial gefährdeten Schichten, ihre moralische Überlegenheit zu demonstrieren.« Insbesondere innerhalb der Bildungsschicht sei heute ein Schwenk vom Hedonismus zum Asketismus zu beobachten.

Einen erhellenden »Einblick in die Realität der alltäglichen klinischen Arbeit« bot im Anschluss der Psychologe und Psychotherapeut Dr. Bernd Schneider, Leiter der AHG Gesundheitsdienste in Koblenz und Köln. »Wer trinkt warum zu viel?«, fasste der Titel seines Vortrages knapp dessen Inhalt zusammen. Der Alkoholkonsum der allermeisten Menschen bewege sich im Normalbereich, sagte Schneider. Dass Konsumenten immer wieder von normalen in schädliche Trinkmuster abrutschten, sei nur durch ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren zu erklären. Hier müsse erkannt werden, dass Alkohol eben nicht nur Lebensgefühl und Kulturgut sei: »Alkohol ist kein Gemüse. Die Hauptwirkung ist die psychogene Veränderung.« Risikofaktoren für eine Abhängigkeit seien neben der reinen Verfügbarkeit und dem persönlichen Trinkverhalten auch die genetische Veranlagung, der Freundeskreis, traumatische Belastungen und familiäre Umstände. »Keine Maßnahme ist für jede Zielgruppe zu jedem Zeitpunkt geeignet«, sagte Schneider. Daneben solle aber auch nicht vergessen werden, dass es »gesund ist, im Leben Dinge zu tun, die einfach Spaß machen und die seelische Gesundheit stärken« - mit anderen Worten: ein maßvoller Konsum.

Die heutige Zeit sei zwar von einem hohen Gesundheitsbewusstsein aber auch einer wachsenden Kostensensibilität im Gesundheitsbereich geprägt, erklärte der Bonner Psychologe Dr. Stefan Poppenreuter von der TÜV Rheinland Consulting in seinem Beitrag »Alkohol - (k)ein gewöhnliches Kulturgut?« Der Prävention komme daher eine zunehmend wichtige Rolle zu. Er unterschied zwischen der so genannten Verhältnisprävention - etwa Gesetze, Steuern oder Anordnungen, die den Alkoholkonsum reduzieren sollen - und der Verhaltensprävention, also Aufklärung und Problemsensibilisierung. In der in Deutschland geführten Debatte werde, insbesondere mit Verweis auf US-amerikanische und skandinavische Studien, verhältnispräventiven Maßnahmen eine weitaus größere Wirksamkeit zugesprochen. Eine einseitige Prävention sei jedoch wenig Erfolg versprechend, sagte Poppenreuter. Effektive Präventionsarbeit erfordere vielmehr das Zusammenspiel verhältnispräventiver und verhaltenspräventiver Maßnahmen.

Ein neues Bewusstsein für Genuss und Gefahren des Weinkonsums will die Informationskampagne WINEinMODERATION schaffen, deren Kernpunkte die Wissenschaftliche Leiterin der DWA, Dr. Claudia Stein-Hammer, abschließend vorstellte. Die Selbstverpflichtungsinitiative unter dem Motto »Weingenuss mit Maß und Stil« ist ein Engagement der europäischen Weinwirtschaft zur Alkoholstrategie der EU-Kommission. Ziel der Kampagne sind neben der Etablierung eines moderaten Konsums die Sensibilisierung für einen verantwortungsbewussten Umgang mit Wein und die Bewahrung seines kulturellen Wertes. Mit drei Basiselementen - einer wissenschaftlich fundierten Datenbank und Informationsplattform, europäischen Standards sowie einem umfassenden Schulungsprogramm - setzt man auf Aufklärung und Einsicht. Diese könnten das Verhalten der Menschen mehr beeinflussen als Verbote, sagte Stein-Hammer, und so langfristig ein »politisches, wirtschaftliches und soziales Umfeld« bewahren, das nicht nur dem Nachwuchs eine Chance biete, sondern strukturell-politische Restriktionen überflüssig mache.

Quelle: Messe Stuttgart

ddw 08/24 vom 19. April 2024

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