Europas Weinbauregionen treten gemeinsam in Brüssel auf

Ihre Forderungen zur EU-Weinmarktreform haben die Weinbauverbände aus Baden, Württemberg und Franken ("Südschiene") zusammen mit dem Deutschen und Österreichischen Weinbauverband und der Versammlung der Weinbauregionen Europas (AREV) in Brüssel bekräftigt.

In der Landesvertretung Baden-Württemberg trafen sie auf Einladung des Stuttgarter Ministeriums für Ländlichen Raum, Ernährung und Verbraucherschutz (MLR) zu einem Fachgespräch mit dem stellvertretenden Generaldirektor der Generaldirektion Landwirtschaft der Europäischen Kommission, Lars Hoelgaard, sowie mit Abgeordneten aus dem Europaparlament zusammen. Württembergs Weinbauverbandspräsident Hermann Hohl danach: "Es hat in Brüssel beeindruckt, dass die Politik in Form der Landesregierung und der Weinbau gemeinsam aufgetreten sind und gezeigt haben, dass sie in großer Einigkeit an einem Strang ziehen." Einen Auftritt in dieser "geballten" Form habe es noch nicht gegeben: "Das haben auch die Europa-Parlamentarier Ernst genommen. Wir hatten am Ende den optimistischen Eindruck, dass das Thema nochmals aufgegriffen wird."

Auch MLR-Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch ist nach der Veranstaltung überzeugt: "Wir sind gut gestartet." Und Generalsekretär Dr. Rudolf Nickenig vom Deutschen Weinbauverband bestätigte: "Der Abend hat uns sehr geholfen bei den Zielen, die wir anstreben." Bei den Zielen waren sich außer Lars Hoelgaard alle einig: Der Anbaustopp muss erhalten bleiben und damit auch der Steillagen-Anbau als "Markenzeichen europäischer Weinbaukultur und Gesamtkunstwerk landwirtschaftlichen Schaffens" (Gurr-Hirsch). Es müssen spezielle Förderangebote zum Erhalt der Steillagen geschaffen werden. Die für 2012 geplante Halbwerts-Beurteilung der EU-Reform muss vorgezogen werden, damit die Weinbaubetriebe Planungssicherheit haben. Studien zur Folgeneinschätzung der Reform sollen zur Versachlichung des Themas beitragen. Für Präsident Hohl ist das deshalb wichtig, weil "wir heute klare Signale brauchen, wie es weitergeht". Das sei auch für die Nachfolgefrage in den Betrieben wichtig. Die Winzerjugend sei verunsichert.

Zu den "negativen Auswirkungen" der geplanten Aufhebung der Anbaustopps zählt Hohl auch die bereits erkennbare Zurückhaltung bei Investitionen und der Preisverfall bei Rebflächen. Die zu erwartende Verstärkung des industrialisierten Weinbaus gehe zu Lasten traditioneller Betriebe und bedeute letztlich das Ende des bisherigen Weinbaus im Steillagen-geprägten Württemberg: "Die Kulturlandschaft wird zerstört. Urlaubsregionen werden wertlos. Arbeitsplätze im Weinbau und im Tourismus sind gefährdet. Ein Qualitätsverlust ist vorgezeichnet." Dr. Rudolf Nickenig: "Die Industrialisierung kann nicht das Ziel unserer Qualitätspolitik sein." Der Präsident des Deutschen Weinbauverbandes, Norbert Weber warnte: "Die völlige Liberalität des Weinmarkts zerstört die Kulturlandschaft und schwächt die ländlichen Räume." Es ist für ihn ein Widerspruch, wenn die Kommission einerseits vorgebe, Herkunft und Qualität stärker verknüpfen zu wollen, andererseits der Herkunft ihre Bedeutung nehmen wolle: "Nur in den besten Standorten kann Weinbau betrieben werden. Das wussten schon die Römer."

Josef Glatt, Direktor des Österreichischen Weinbauverbandes: "Man kann Weinbau nicht mir anderen landwirtschaftlichen Produkten vergleichen." Den Wein kennzeichneten die unterschiedliche Herkunft und die Sortenstruktur. Und: "Kein anderes landwirtschaftliches Produkt ist mitverantwortlich für die Tourismuslandschaft." Mit dem Ende des Anbaustopps entstünden keinen neuen Flächen, sondern nur Verlagerungen in die Ebene, die einerseits die Landschaften veränderten und andererseits mit billig erzeugten Weinen den Qualitätsweinen von den Hügeln Konkurrenz machten. Der fränkische Weinbauverbandspräsident Artur Steinmann stellte in Frage, dass durch industrialisierten Weinbau die Landschaft erhalten und der ländliche Raum gestärkt werde. Der baden-württembergischen Landtagsabgeordnete und Wengerter Albrecht Fischer sieht voraus: "Betriebe werden im reinen Verdrängungswettbewerb aufgeben." Er stellte die Frage: "Wir sage ich den jungen Leuten, warum sie Handarbeit in den Steillagen machen sollen, wenn es in der Ebene auch anders geht?"

Auch der Südtiroler Europaabgeordnete Dr. Herbert Dorfmann sieht "die großen Wachstumsmärkte nicht. Wo ist das große Potenzial für neue Weinmärkte, wenn wir die Pflanzrechte abschaffen." AREV-Generalsekretär Dominique Janin sieht "kleine und mittelgroße Betriebe in Gefahr." Schon jetzt verzeichne man quer durch Europa einen Rückgang der Produktion bei gleichzeitigem Rückgang der Erzeugerpreise. Das Pflanzrecht sei ein Instrumentarium für die Regulierung des Angebotes. Andernfalls erwartet Janin einen "unlauteren Wettbewerb zwischen Tafel- und Qualitätswein" sowie eine "Wettbewerbsverzerrung zugunsten der großen Kellereien". Badens Weinbauverbandspräsident Kilian Schneider: "Wohin liberalisierte Märkte führen, haben wir im Finanzsektor gesehen."

Lars Hoelgaard wiederholte seine Positionen: "Auch der Weinsektor muss der Marktorientierung unterworfen werden." Mit oder ohne Pflanzrechte bestehe die Notwendigkeit konkurrenzfähig zu sein, um nicht noch mehr Markt gegenüber Drittländern zu verlieren. Die Geldmenge, die "falsch verwendet wurde" für Destillation und Rodung, müsse im Rahmen nationaler Stützungsprogramme für Modernisierung, Umstrukturierungen und Markförderung eingesetzt werden. Pflanzrechte hätten den Markt nicht geschützt. Steillagen-Probleme könnten nicht über Pflanzrechte geregelt werden. Hoelgaard räumte ein, dass Steillagen Auswirkungen auf die Qualität haben. Er sei auch "stark dafür", die Identität einer Region aufrecht zu erhalten", glaube aber nicht an Horrorszenarien. Vielmehr müsse man die Verbraucher überzeugen, dass sie mit Steillagen-Weinen etwas Besonders bekommen. Wenn man bereits sei, etwas "künstlich aufrecht zu erhalten", brauche das eine "massive Geldförderung". Die Weinwirtschaft solle nicht "so defensiv" sein, sondern "mehr Selbstvertrauen" entwickeln.

DWV-Präsident Norbert Weber erkannte die alten Hoelgaard-Argumente und reichte trotzdem die Hand: "Wir setzen uns zusammen." "Welche Wegen gehen wir gemeinsam?", fragte auch die deutsche Europaabgeordnete Elisabeth Jeggle. Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch versprach: "Wir werden das Angebot der Politiker annehmen." Weitere Informationsveranstaltungen sind geplant.

Quelle: WBVW

ddw 08/24 vom 19. April 2024

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