Ausgabe 24/2020

Was sind in der heutigen Zeit demokratische
Grundsätze und demokratisch getroffene Entscheidungen
noch wert? Diese Frage habe ich
mir in den letzten Tagen wieder häufiger stellen
müssen, als ich die Nachrichten aus den
USA und aus Brüssel verfolgte.
Der Ausbruch des noch amtierenden US-Präsidenten Donald
Trump in der Wahlnacht – sein Aufruf zum Stopp der Auszählung
– war ein klarer Angriff auf die Regeln der Demokratie. Es war ein
Schlüsselmoment in der Geschichte der USA als Demokratie, weil
es am Ende um das erste und vornehmste Prinzip dieser Staatsform
ging: Jede Stimme zählt. Erfreulicherweise war das System
widerstandsfähig. Die Wahlhelfer und die Beamten in den Behörden
glaubten an die Integrität des Systems und die Relevanz
seiner Regeln. Die Demokratie in den USA wurde somit »gerettet
«. Ob die aktuelle politische Entwicklung in den
USA auch ein schnelles Ende der US-Strafzölle ermöglicht
und so der europäische Weinexport in die
USA »gerettet« werden kann, bleibt dagegen noch
abzuwarten. Ob die Entscheidung der EU, Gegenzölle
auf US-Zölle zu verhängen, in diesem Zusammenhang
zielführend war, ist doch mehr als zweifelhaft.
Durch den anstehenden Regierungswechsel
können wir zumindest hoffen, dass die Handelsbeziehungen
zwischen den USA und der EU sich wieder
nachhaltig verbessern.
Szenenwechsel – In der EU war bis vor zehn Jahren oft ein
Demokratiedefizit beklagt worden. Hintergrund war die fehlende
Beteiligung der EU-Bürger am Gesetzgebungsverfahren
durch ein direkt gewähltes Parlament. An diese Zeit fühlte ich
mich jüngst erinnert, als der Vizepräsident der EU-Kommission,
Frans Timmermans, geäußert hat, die Vorschläge zur Gemeinsamen
Europäischen Agrarpolitik (GAP) zurückziehen zu wollen.
Hat die Kommission nicht nur das Initiativrecht zur Gesetzgebung
und gibt dann das Verfahren aus der Hand? Ist diese Ankündigung
Timmermanns ein Rückschritt in alte Zeiten? Natürlich
möchte ich hier keinesfalls eine Parallele zum Verhalten des
US-Präsidenten ziehen.
Das Europäische Parlament und der Rat haben Ende Oktober
demokratisch gefasste Beschlüsse zur GAP gefasst. Timmermanns
äußerte sich anschließend enttäuscht, dass beide Institutionen
nicht mehr Ambitionen gezeigt haben und dass sie an
einer Agrarpolitik festhalten, die nicht ausreichend nachhaltig
sei. Seine Aussage mag in der Sache etwas überraschen, da die
Beschlüsse des EU-Parlaments und des Rates klar über das von
der EU-Kommission seinerzeit vorgeschlagene Umweltniveau
hinausgingen.
So sieht der Ratsvorschlag im Gegensatz zum
Kommissionsvorschlag etwa die Einführung verbindlicher Öko-
Regelungen sowie ein dafür verpflichtendes Budget von mindestens
20 Prozent der Direktzahlungen vor.
Wer wird diesen Machtkampf nun gewinnen? Kann der für
Klima und Umwelt zuständige Kommissar die Minister und die
Mehrheit des EU-Parlaments überzeugen?
Dass die EU ein Demokratiedefizit hat, kann mit dem Inkrafttreten
des Vertrages von Lissabon sicherlich als Mythos bezeichnet
werden. Durch den Vertrag von
Lissabon hat das EU-Parlament viel mehr
Mitspracherechte erhalten und verabschiedet
nun die meisten europäischen Gesetze
gleichberechtigt zusammen mit dem Ministerrat.
Dass die Kommission sich in Gesetzgebungsprozesse
weiterhin einbringt und
über ihre Rolle als Vermittlerin
zwischen Rat und EUParlament
hinaus versucht,
Lobbyarbeit für
ihre eigenen Vorstellungen zu machen, ist
nichts Ungewöhnliches. Die Machtkämpfe
zwischen Regierung und Parlament kennen
wir auf nationaler Ebene nur zu gut.
Das zeigt nur mal wieder: Demokratie ist oft
nicht perfekt bzw. vollendet – wichtig ist, dass
sie sich weiterentwickelt und nicht in ihren
Grundfesten erschüttert wird. F

ddw 08/24 vom 19. April 2024

Themen der Ausgabe

Weinbau

Die neue Humustheorie

Interview

ddw im Gespräch mit Ron Richter von klimafarmer
und Philipp Wedekind vom Weingut Wedekind

Kellertechnik

Entwässerungssysteme richtig planen