Ausgabe 22/2018

Ozeanien vs. Balkonien
ddw22/2018

Wir Deutschen waren jahrelang Reiseweltmeister.
In einer gemeinschaftlichen Anstrengung
brachten wir regelmäßig die höchsten Ausgaben
für Auslandsreisen auf. Zumindest bis 2012, dann
haben uns die Chinesen vom Travel-Thron gestoßen.
Dieser Titelverlust lässt sich verschmerzen,
wenn man bedenkt, dass es wesentlich
mehr Chinesen als Deutsche gibt. Schlechter
zu verschmerzen sind da schon die Klimafolgen
unserer Reisewut. Denn während wir über
Feinstaubfilter für Diesel-PKW diskutieren, schippern
hunderte schwimmende Kleinstädte mit
Las-Vegas-Ausstattung über die sieben Weltmeere.
Aus Winzersicht ist ein Kreuzfahrtschiff eine
feine Sache, schließlich sind dort meist Paare im
besten Weintrinkeralter über mehrere Wochen
eingepfercht und haben folglich gar keine andere
Wahl, als sich ihre Mitreisenden unter Zuhilfenahme
der inkludierten Weine schön zu trinken.
Eigentlich alles gut, wären da nicht Schweröl und
Schwefeldioxid-
Emissionen.
Es sind aber längst nicht nur die »Best Ager«, die
uns der Klimakatastrophe mit jeder Seemeile
einen Schritt näher bringen. Einen wesentlichen
Anteil an der Ressourcenverschwendung durch
Reisen entfällt auf die Jugend. »Pimp your passport
«, das manische Sammeln von Stempeln im
Reisepass, ist ein beliebter Zeitvertreib. Während
wir früher zum Feiern in die nächstbeste
Großstadt fuhren, verbringen die Millenials ihre
Wochenenden in Kiew, Paris oder Istanbul –
Billigflieger und Taschengeldüberversorgung
machen´s möglich. Manchmal beschleicht mich
der Verdacht, dass heute manch einer nur
deshalb Abitur macht, um in den Genuss
des obligatorischen Australienaufenthalts
zu kommen.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich
habe weder was gegen Australien
noch gegen Reisen, aber wenn es
um den Erhalt unserer Umwelt
geht, sollte uns allen hin
und wieder ein Wein auf
Balkonien genügen.