Ausgabe 09/2020

Noch keine Rückkehr in eine »neue Normalität«

ddw09/2020

Der Austrieb der Reben ist in vollem Gange. Die Vegetation
ist auch dieses Jahr für Mitte April sehr
weit vorangeschritten, so dass viele Winzer in den
letzten Tagen bangen Blickes auf die Vorhersagen
ihrer Wetterdienste und nachts auf das Thermometer
blickten. Die Schäden der Nachtfröste der letzten Woche
sind wohl überschaubar, erfahrungsgemäß drohen aber
bis Mitte Mai Nachtfröste, die für die Reben im aktuellen Stadium
fatale Folgen haben könnten. Auch die anhaltende Trockenheit
bereitet den Winzern schon wieder Kopfzerbrechen.
Der Deutsche Wetterdienst schrieb zuletzt, dass Deutschland
in der ersten Hälfte des Monats April nur drei Prozent des
durchschnittlichen Regenfalls abbekommen hatte. Reben können
zwar bekanntermaßen aufgrund eines stark ausgeprägten
Wurzelwerks einen Mangel an Nährstoffen oder Wasser für
eine gewisse Zeit überbrücken. Langfristig werden aber Ernteausfälle
drohen, sollten sich die Wasservorräte im Boden nicht
stabilisieren. Neben diesen Unwägbarkeiten des Klimas bereiten
die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise vielen
Winzern weiterhin große Sorgen.
Anfang der Woche ist eine Reihe von Lockerungen
der Restriktionen zur Eindämmung
der COVID-19-Pandemie bundesweit in Kraft
getreten. Mit diesen ersten Exit-Maßnahmen
haben Bund und Länder der Gesellschaft
einen ersten Weg in eine »neue Normalität«
aufgezeigt. Für die Gastronomie gibt es aktuell
noch keinen Weg und leider auch noch keine Perspektive
zu einem achtsamen Neustart. Für die vielen, zumeist kleinen
und mittelständischen Gastronomiebetriebe bedeutet diese
fehlende Perspektive der vorsichtigen Öffnung eine Bedrohung
ihrer Existenz.
Auch der Weinsektor ist von den fehlenden Exit-Maßnahmen
im Gastronomiebereich stark betroffen – entweder direkt
als Betreiber eines Gutsausschanks oder indirekt als Lieferant
der Gastronomie. In verschiedenen Tageszeitungen war von
einer deutlich gestiegenen Nachfrage bei Wein im LEH zu lesen,
die darauf zurückzuführen ist, dass der Weinkonsum der
Verbraucher zu Hause zunimmt. Dagegen ist der Weinabsatz
im Bereich Hotel und Gastronomie aufgrund der Schließungen
komplett eingebrochen und bringt auf den HORECA-Bereich
spezialisierte Weinbaubetriebe bereits jetzt in finanzielle
Schwierigkeiten. Eine Entwicklung in der Politik, die selbstverständlich
die Infektionsprävention priorisiert, aber zeitgleich
Modalitäten oder einen Zeitplan für einen Neustart einer verantwortungsbewussten
Gastronomie vorsieht, wäre auch für
die auf diesen Vertriebskanal spezialisierten Winzer ein großer
Lichtblick (vgl. S. 7: Online-Petition #restartGastro – Perspektiven
für einen achtsamen Neustart der Gastronomie schaffen).
Klar ist, dass im Hinblick auf die Dauer des Lockdowns der
Gastronomie Instrumente wie Kurzarbeitergeld, Soforthilfen
und KfW-Programme nicht ausreichen werden, sondern eine
spezielle Soforthilfe für diesen Sektor notwendig sein wird.
Anfang dieser Woche forderten daher EU-Abgeordnete im Rahmen
der Sitzung der Intergruppe Wein des EU-Parlamentes
neben der Zulassung von Krisenmaßnahmen für den Weinsektor
auch einen Rettungsfonds für Gastronomie und Tourismus.
Die EU-Kommission ist prinzipiell gewillt, den Mitgliedstaaten
die Umsetzung von Krisenmaßnahmen im Weinsektor zu
ermöglichen. Jedoch sollen diese nach ihrer Auffassung aus
dem vorhandenen Agrarbudget der EU, aus
den Geldern der nationalen Stützungsprogramme
oder von den Mitgliedstaaten selbst
finanziert werden. Die EU-Abgeordneten waren
sich dagegen erfreulicherweise
darüber einig, dass
eine derartige Krise im
normalen Agrarbudget
nicht eingeplant war und dass die Folgen
dieser Krise nicht mit einer Umschichtung
innerhalb des Agrarbudgets, sondern
durch ein Extrabudget ausgeglichen
werden müssen. Sie forderten die Branche
auf, hier gegenüber der Kommission
und dem Rat nicht »locker zu lassen«.
Diesem Rat werden wir folgen! F