Ausgabe 08/2019

»Bruttosozialglück«

ddw08/2019

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich leide sehr
unter der Zeitumstellung. Mein Biorhythmus ist
durcheinander, ich komme morgens kaum aus dem
Bett und dafür kann ich dann abends nicht einschlafen.
Schon nach wenigen Tagen schlägt sich das auf
die Stimmung nieder. Aktueller Status: GEREIZT!
Ein Gutes hat meine aktuelle Schlafstörung allerdings,
sie bringt mich dazu, nachts fernzusehen. Wir Nachteulen
wissen, die besten Beiträge, ob Filme oder Reportagen,
kommen im Spätprogramm. So auch jüngst, als ich plötzlich
im Halbschlaf irgendwas von »Butan« hörte. Ich dachte
natürlich zuerst an Flüssiggas. Das mag an meiner kindlichen
Prägung durch Campingurlaube liegen. Als Buddhist
oder Extrembergsteiger hätte ich wohl eher an den Staat im
Himalaya gedacht, um den es tatsächlich in der Reportage
ging. Trotz leichter Bettschwere drängte sich mir während
des Beitrags der Gedanke auf, dass Butan und Bhutan doch
mehr gemeinsam haben könnten als ihren
phonetischen Gleichklang und fünf identische
Buchstaben: Beide sind nämlich umweltfreundlich.
Vom Gas weiß man das, wird es doch seit
dem FCKW-Verbot wieder als Kältemittel in
Kühlschränken eingesetzt. Außerdem schädigt
es im Gegensatz zu den Fluorchlorkohlenwasserstoffen
die Ozonschicht nicht und
kann als alternativer Treibstoff für Autos
und Busse eingesetzt werden. Über den Staat wusste ich
wenig, aber ich erfuhr dann, dass er schon in den 1970er
Jahren von sich reden machte, als sein inzwischen verstorbener
König den Begriff »Bruttosozialglück« prägte. Damit
wollte er dem Bruttoinlandsprodukt (BIP), als dem weltweit
gebräuchlichen Indikator für Wachstum und Wohlfahrt
eines Staates, ein alternatives Modell entgegensetzen. Aus
seiner Sicht waren die gängigen Modelle nicht in der Lage,
wesentliche Aspekte der Wohlfahrt zu erfassen. Das BIP alleine
erlaubt nämlich keine Aussagen über Lebensqualität
oder Gerechtigkeit in einer Gesellschaft. Schlimmer noch,
es wertet u. U. sogar Umweltschädigungen als Gewinn für
die Volkswirtschaft. Im Gegensatz dazu gelten in Bhutan bis
heute soziale Gerechtigkeit, die Förderung kultureller Werte
sowie der Schutz der Umwelt als wesentliche Elemente.
Zusammen mit weiteren Faktoren sollen sie das Glück der
gesamten Bevölkerung mehren.
Ein Blick ins allwissende Netz am nächsten Morgen zeigte
mir, dass dieser Ansatz nicht nur Befürworter findet. Kritiker
bezweifeln vermutlich zurecht, dass es eine allgemeine
Formel für Glück gibt. Erfolg kann schließlich ebenso unglücklich
machen wie Misserfolg. Das zeigen alleine schon
die Selbstmordraten von Nord- und Südkorea. In der Selbsttötungsweltrangliste
liegen die beiden ungleichen Nachbarländer
auf den vordersten Plätzen. Wenn Glück also subjektiv
ist, was sollen wir dann von Bhutan lernen?
Ganz klar: Wenn wir unseren gebräuchlichen Erfolgsindikator,
das BIP, weiter steigern, wird die Volkswirtschaft
sicher weiter wachsen, aber eben nur so lange, bis sie oder
schlimmer noch die Umwelt, deren Ressourcen wir hemmungslos
verbrauchen, kollabiert. Wenn wir uns aber darauf
besinnen, was uns der König von
Bhutan vermitteln wollte und dann auch
noch bereit sind, einige liebgewonnene
Gewohnheiten um- oder sogar abzustellen,
sind unsere Chancen auf ein langes
Leben vielleicht etwas größer. Wie glücklich
das dann letztlich ausfällt, bleibt zwar
ungewiss, aber auch das
können wir selbst beeinflussen,
indem wir
bspw. zum Bruttosozialglück beitragen.
Wir wollen direkt damit beginnen und
haben ein informatives Heft für Sie zusammengestellt.
Wissen ist nämlich auch
ein Faktor für Glück - genau wie Schlafen.
Deshalb sollten wir die Zeitumstellung
endlich abschaffen! F