Bierexperte Dr. Michael Zepf, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Doemens Academy. (Foto: Ralf Ziegler/AdLumina)
Bierexperte Dr. Michael Zepf, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Doemens Academy. (Foto: Ralf Ziegler/AdLumina)

Biertrends: „Es geht weiter in Richtung Regionalität“

Bierexperte Dr. Michael Zepf, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Doemens Academy, spricht über die Hintergründe des Alkoholfrei-Booms, die amerikanische Begeisterung für deutsche Lagerbiere und Diät-Bier der neuen Generation.

Interview: Benjamin Brouër

Michael, du kommst als Bierexperte viel rum. Wenn dich Kollegen aus dem Ausland fragen, was aktuell auf dem deutschen Biermarkt los ist, was ihn bewegt, welche Trends sich abzeichnen – was antwortest du dann?

Michael Zepf: Es gibt einige verschiedene Trends, manche davon offenkundig, andere spielen sich eher im Hintergrund ab. Offenkundig ist derzeit natürlich der Trend zu alkoholfreiem Bier. Über 20 Jahre hat das alkoholfreie Bier dahingedümpelt, war fast schon totgesagt, seit gut fünf Jahren nun startet das Segment richtig durch. Das Feld hat sich wahnsinnig erweitert: Ursprünglich gab es nur helle Lagerbiere in einer alkoholfreien Version, dann kamen die Weißbiere hinzu, die für den ersten Schub gesorgt haben. Heute gibt es von IPA über Porter und Stout bis hin zu Sauerbieren zig Sorten alkoholfrei.

Was hat diese Diversifizierung ausgelöst?

Zepf: Vor allem die Verbesserungen in der Produktion. Es gibt heute viele Methoden, Kniffe und Möglichkeiten, alkoholfreies Bier zu produzieren. Du kannst schwächer einbrauen, du kannst den Alkohol später wieder verdampfen, du kannst den Alkohol über Dialyse oder Umkehrosmose rausziehen, die Methoden lassen sich auch miteinander kombinieren. Zudem lässt sich das früher für alkoholfreie Biere so prägnante Würzearoma mit Hopfen überdecken. Es hat diesen Effekt gebraucht, dass mehr Leute mal ein alkoholfreies Bier erwischt haben, das ihnen gut geschmeckt hat. In anderen Ländern ist das Thema noch nicht so stark angekommen wie bei uns, da ist Deutschland tatsächlich einmal in der Führungsrolle.

Du sprachst eingangs von mehreren Trends…

Zepf: Der zweite Punkt, der in Deutschland, aber auch weltweit Akzente setzt, ist das Phänomen Helles – oder insgesamt deutsche Lagerbiere. In den amerikanischen Brewpubs, wo früher ausschließlich Pale Ale und IPA den Ton angaben, zählen heute ein Helles und ein Oktoberfestbier zu den festen Größen. Die Schlagworte dazu heißen „crisp“ und „Session Bier“ – man kommt in eine Bar und möchte erst einmal etwas gegen den Durst trinken. Außerdem haben die amerikanischen Brauer und auch die Konsumenten festgestellt, wie schwierig es ist, diese Biere zu brauen. Das macht den Reiz aus. Ich vergleiche das gerne mit dem Weinbereich: Ein guter Winzer braucht einen Pinot Noir als Aushängeschild, beim Bier sind das heute ein Helles und ein Pils.

Ein Helles Vollbier in ganzer Pracht - deutsche Braukunst, die auch international immer stärker geschätzt wird. (Foto: AdobeStock.com)
Ein Helles Vollbier in ganzer Pracht - deutsche Braukunst, die auch international immer stärker geschätzt wird. (Foto: AdobeStock.com)

Was macht den Erfolg des Hellen in Deutschland aus? Wie geht es weiter mit der Sorte?

Zepf: Vieles erinnert heute an die Zeit vor gut 40 Jahren, als wir schon einmal einen entscheidenden Twist in der Bierlandschaft erlebt haben. Damals war das Dortmunder Export das beliebteste Bier in Deutschland, nicht das Pils, und Dortmund war die Bierhauptstadt Europas. Nachkriegszeit, Wiederaufbau, Ruhrgebiet, Untertagebau, das war alles maskulin – dazu passte der eher kantige, harte, maskulin geprägte Bierstil Export. Irgendwann hat dies nicht mehr in die Zeit gepasst und das Export wurde vom eleganten, internationalen Pils abgelöst. Es scheint so, als hätte sich nun, gut 40 Jahre später, wiederum das Pils etwas totgelaufen. Was mittlerweile zählt, ist Regionalität, Tradition, die Urlaubsregion Süddeutschland. Das hilft dem Hellen unglaublich. Daher glaube ich auch nicht, dass mit dem Hellen schon das Ende erreicht ist. Ob’s dem Pils letztlich den Rang ablaufen kann, muss man sehen. Allerdings haben sich viele Pilsbiere in den letzten Jahren geschmacklich ohnehin in Richtung Helles entwickelt.

Siehst du noch weitere Sortentrends?

Zepf: Ich glaube, dass Grünhopfenbiere, egal ob obergärig oder untergärig, in den nächsten Jahren immer mehr Zulauf erfahren werden. Ihr Vorteil: Es gibt sie nur einmal im Jahr, sie bedienen also das Thema Saisonalität – und zudem auch das Thema Regionalität. Mit diesem besonderen Profil könnten Grünhopfenbiere zum typischen Herbstbier werden.

Mit Blick auf die USA sollte man zudem das Light Lager nicht aus den Augen verlieren. Light Lager, drüben die beliebteste Sorte, ist kein Leichtbier, sondern ein Low-Carb-Beer, eigentlich das Pendant zu unserem früheren Diätbier. Mit diesem Namen, den die Brauereien nach der Diätverordnung seit 2012 ohnehin nicht mehr führen dürfen, war es bei uns schon immer schwierig. Wenn man aber einen schmissigen neuen Namen für diese energiereduzierten Biere mit weniger Kohlenhydraten finden würde, hätten diese Biere durchaus Potenzial.

Sortenexot mit Potenzial? Michael Zepf traut kalorienreduzierten Bieren wie dem Edelhopfen Extra aus der Maisel-Brauerei mit neuer Marketingausrichtung noch etwas zu.
Sortenexot mit Potenzial? Michael Zepf traut kalorienreduzierten Bieren wie dem Edelhopfen Extra aus der Maisel-Brauerei mit neuer Marketingausrichtung noch etwas zu.
Das Sternquell 70er bringt es bei 4,9 % Alkohol auf nur 330 Kalorien pro Liter.
Das Sternquell 70er bringt es bei 4,9 % Alkohol auf nur 330 Kalorien pro Liter.
Weniger Kohlenhydrate, voller Köstritzer Geschmack verspricht das Köstritzer Spezial Pils.
Weniger Kohlenhydrate, voller Köstritzer Geschmack verspricht das Köstritzer Spezial Pils.

Wie kommst du zu dieser Einschätzung?

Zepf: Man muss sich nur den großen Erfolg der Hard Seltzer in den USA anschauen. Dass diese so gut ankommen, hat einen einzigen Grund: wenig Kalorien bei gleich hohem Alkoholgehalt. Das hat die Light-Biere zum Laufen gebracht – und das hat Hard Seltzer zum Laufen gebracht. Kalorien haben hierzulande lange Zeit niemanden interessiert. Das hat sich etwas geändert, seitdem die Brauereien auf freiwilliger Basis den Brennwert der Biere auf den Etiketten angeben sollen. Nun kann der Kaloriengehalt verschiedener Biere direkt miteinander verglichen werden, was dem Thema sicherlich etwas mehr Bedeutung verleiht. Früher gab es viele Brauereien, die ein Diätbier im Portfolio hatten. Von diesen sind nicht mehr allzu viele am Markt. Das Maisel Edelhopfen Extra mit 4,8 % Alkohol und 300 Kalorien pro Liter und das Sternquell 70er mit 4,9 % Alkohol und 330 Kalorien pro Liter sind zwei der Biere, die nun unter einem anderen Namen laufen.

Einer der großen Trends ist die Regionalisierung. Wird sich dies auch im Bierbereich wieder stärker niederschlagen?

Zepf: Absolut, ich bin mir sehr sicher, dass es weiter in Richtung Regionalität geht. Die aktuelle Entwicklung mit den stark steigenden Sprit- und Transportkosten wird diese Tendenz abermals verstärken. Für große Brauereien, die überregional tätig sind und ihr Bier quer durch die Republik schicken, kann das zum Problem werden. Es gab lange Zeit das Phänomen, dass das Bier umso günstiger ist, je weiter entfernt es von der Brauerei angeboten wurde. Wenn der Diesel 2,30 Euro pro Liter kostet, geht das irgendwann einfach nicht mehr. Wenn du nicht regional bist, kann das heute schnell zum finanziellen und zum Imageproblem werden.

Mit der Initiative und dem Siegel „Bayerische Edelreifung“ wollen die Brauereien Erdinger, Schneider und Maisel die Besonderheit des zweifach gereiften bayerischen Weißbieres herausstellen. Im Interview erklärt Jeff Maisel den Unterschied zum Standardverfahren, wie wichtig vitale Hefe ist und was das alles mit Champagner zu tun hat.

Die Gastronomie ist eigentlich der ideale Ort, um das Frischeprodukt Bier optimal zu erleben. Wie ist es um das Bierangebot und die Bierqualität in der Gastronomie heute bestellt? Wie wird Bier zum Erlebnis?

Zepf: Ich habe die Hoffnung, dass sich Qualität durchsetzen wird. Aktuell ist das Niveau sehr unterschiedlich. Im süddeutschen Bereich sind die erfolgreichen Konzepte jene, die Bier als Zentrum ihrer Gastronomie sehen und ein gutes Essen dazu liefern. Häufig jedoch steht es nicht gut um die Hygiene, die Schanktechnik, die Gläserpflege, zudem wechseln die Servicekräfte häufig. Bei den großen Bierwirtschaften in Bayern hingegen kennt man die Bedienung. Der Service ist für mich ein ganz wichtiges Erfolgskriterium. Dieser muss den Gast mitnehmen und auf saisonale Angebote aufmerksam machen. Und die Erlebnisse sind wichtig. Bei uns im lokalen Augustiner wird um 18 Uhr das Holzfass an der Theke angezapft, das bekommt das ganze Lokal mit. Da fragt auch niemand, was da eigentlich drin ist und ob das Bier 50 Cent mehr kostet. Man darf als Gast einfach gar nicht dran vorbeikommen. Das können auch schöne Tischaufsteller sein, die auf besondere Spezialitäten aufmerksam machen. In der traditionellen Gastronomie schaut kaum jemand in die Getränkekarte. In Craftbierläden mit großer Biervielfalt hingegen ist eine eigene Bierkarte wichtig, eine große Tafel oder eine digitale Lösung fürs Handy über QR-Code.

Eigene Biersommeliers in der Gastronomie sind noch eine Seltenheit. Wie ist der Stand aus Doemens-Sicht und welche Entwicklung erwartest du?

Zepf: Es spielt sich weiterhin vor allem in den Brauereien und bei Privatpersonen ab, die Tastings anbieten wollen oder sich von der Gastronomie buchen lassen. Nur rund 10 bis 15 Prozent der Teilnehmer unserer Biersommelier-Kurse stammen aus der Gastronomie. Die Kosten und die Dauer der Ausbildung von zwei Wochen verbunden mit der hohen Personalfluktuation in der Gastronomie erklären hier die Zurückhaltung. Viele Gastronomen stellen Bier zudem nicht in das Zentrum ihres Objekts.

Was empfiehlst du Gastronomen, die ihr Personal möglichst mit überschaubaren Mitteln in Sachen Bier schulen wollen?

Zepf: Um dem Personal trotz der geschilderten Umstände wichtiges Basiswissen zu vermitteln, haben wir einen kostengünstigen Online-Kurs für Gastronomie und Handel entwickelt, dessen Module sich bequem von zu Hause durcharbeiten lassen. Je nach Spezialisierung des Lokals können einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dann weitergefördert werden und durch Aufbaukurse zum Bierbotschafter oder doch zum Biersommelier ausgebildet werden.

Weitere Informationen zum Doemens-Weiterbildungsprogramm: doemens.org

fizzz 04/2024

Themen der Ausgabe

Juliane Winkler, Berlin

Juliane Winkler, die Restaurantleiterin des „Nobelhart & Schmutzig“ in Berlin liebt ihren Beruf. Und setzt sich mit
#proudtokellner dafür ein, dass er mehr Wertschätzung erhält.

Aperitivo-Konzepte

Die Aperitif-Kultur ist auf dem Vormarsch – wir zeigen brandaktuelle Gastro-Beispiele.

Le Big TamTam

Der neue Hamburger Food-Markt setzt Maßstäbe − auch bei der Zusammenarbeit der Betreiber.