Bodenständige Bierstile - modern interpretiert - sind angesagt wie nie zuvor. Traditionell, saisonal und kreativ heißt die aktuelle Zauberformel der Branche. Regionale Spezialitätenbrauereien, aber auch immer mehr Branchengrößen, entdecken vergessene Bierstile wieder und schaffen damit neue Geschmackswelten.

Trend 1: Kellerbier als bodenständiger Kick
Retro ist wieder schick – nicht nur unter Brauern, sondern auch unter aromageübten Bierfans. Lange Zeit ignoriert, zählen jetzt wieder untergärige und naturtrübe Biersorten zu den Trendsettern unter urbanen Zeitgenossen. Das gilt insbesondere für das besonders süffige Kellerbier, das sich meist im bodenständigen Gewand präsentiert und vor wenigen Jahren noch Seltenheitswert in Bars, Online-Biershops und Getränkemärkten hatte.
Die Nachfrage nach solchen Spezialitätenbieren wächst stetig, wie auch aktuelle Branchenstatistiken demonstrieren. So kann Kellerbier, mancherorts auch als Zwickel bezeichnet, eine steile Erfolgskurve mit inzwischen rund 300 verschiedenen Produkte verzeichnen. Als Initialzündung für solche Spezialitätensude gilt die Craftbier-Bewegung, in der sich ein starker Trend zu regionalen Bieren sowie eine Rückbesinnung auf alte Werte abzeichnet.
Auf Kellerbier, das in der EU als geschützte, bayerische Biersorte gilt, konkret aber aus Franken stammt, setzen nicht nur kleinere Spezialitätenbrauereien. Inzwischen gehört der Traditionstrunk auch zum Standard-Repertoire vieler großer Brauereien, die nicht selten für diese Biere eine regional verankerte Submarke gründen. Walter König, Geschäftsführer des Bayerischen Brauerbundes, untermauert den Trend zu solchen Bierspezialitäten: „Das Natürliche, Ursprüngliche und Regionale ist derzeit stark angesagt – pur, ehrlich und ganz ohne jede Produktkosmetik.“

Trend 2: Helles im Höhenflug
Bayerische Bierstile zählen seit jeher zu den beliebtesten Gerstensäften. Aber kaum eine klassische Biertypologie erlebt derzeit einen solchen Höhenflug wie das feinwürzige und malzige Helle – und das nicht nur im Freistaat. Inzwischen setzen auch immer mehr Brauereien fernab des Weißwurst-Äquators auf die wohl süffigste Allroundbiersorte.
Mehr als ein Fünftel des Bierausstoßes in Bayern fällt mittlerweile auf solch untergärige Biere und auch bundesweit zeigt sich ein deutliches Plus. Mehr als zwei Millionen Hektoliter Helles fließen die Kehlen der Deutschen mit einer etwa vierprozentigen Steigerungsrate derzeit pro Jahr runter. Bei generell sinkendem Bierkonsum ein freudiges Ereignis für die Brauergilde. Heinz Grüne, Biersommelier und Chef des Marktforschungsinstituts Rheingold in Köln, sieht im aktuellen Trend zum Hellen eine logische Schlussfolgerung gesellschaftlicher Entwicklungen: „Gerade in unserer mobilen Zeit bevorzugen speziell junge Leute ein so unkompliziertes Bier wie das Helle, mit dem sie bei jedem geselligen Ereignis mit der Flasche in der Hand herumlaufen können.“
Es spricht einiges dafür, dass sich der Trend in der Gastronomie, vor allem in der Außengastronomie, fortsetzt. Der unkomplizierte Charakter, die milde Süffigkeit, befeuern den Erfolg. Denn anders als die teils sättigenden, mastigen Weißbiere und die hopfenherben Pilsbiere gilt das perfekt ausbalancierte Helle als „Schüttbier“, als Biergarten-Durstlöscher par excellence, vom dem gerne noch ein zweites, drittes bestellt wird. Der Erfolg auch jenseits der bayerischen Herkunft hat das Helle in den letzten Jahren zu einer gesamtdeutschen Sorte reifen lassen – sowohl hinsichtlich des Konsums, als auch was die Produktion anbelangt. Ein Ende ist vorerst nicht in Sicht.

Trend 3: Alkoholfreie Biere als Aromawunder
Für eingefleischte Biertrinker war es früher das No-Go schlechthin. Doch Fitness- und Gesundheitsboom sorgen nun für einen anhaltenden Trend bei alkoholfreien Bieren, die derzeit so rasante Wachstumsraten aufweisen wie kaum ein anderes Sortensegment. Während die sogenannten „bleifreien“ Hopfen- und Malzsäfte bislang wegen ihres meist wässrigen und charakterlosen Geschmacks von vielen Bierliebhabern verschmäht wurden, erleben sie gerade einen enormen Imagewechsel.
Klar, Alkohol gilt seit jeher als zentraler Geschmacksträger im Bier. Doch jetzt tüfteln immer mehr Brauer an alkoholfreien und alkoholarmen Bieren, interpretieren diese gänzlich neu. Dabei schaffen sie mit individuellen Hopfen-, Malz- und Hefe-Mixturen wahre Geschmackswunder, sodass nicht mal mehr Experten merken, dass kaum oder gar kein Alkohol den Trunk optimiert. So unterscheiden sich immer mehr Sorten aromatisch kaum noch von ihren herkömmlichen Verwandten, was sie zu beliebten Lifestyle-Getränken macht – und zwar nicht nur bei Extremsportlern.
Den wachsenden Absatzerfolg dieses Biertyps zeigen auch die aktuellen Zahlen des Deutschen Brauerbundes in Berlin. So liegt der Gesamtausstoß für alkoholfreie Sude derzeit bei mehr als fünf Millionen Hektolitern und einem Marktanteil von rund acht Prozent – mehr als je zuvor. Mit dem Trend wächst auch die Angebotsvielfalt. Inzwischen gibt es mehr als 400 alkoholfreie Biere, nicht nur in Form von Pils, Helles und Weißbier, sondern auch als Pale Ale, India Pale Ale und Stout.

Trend 4: Historische Bierstile in neuem Gewand
Ob in der Mode, bei Spirituosen oder auch beim Bier: Altbewährtes erlebt irgendwann wieder neue Höhenflüge. So findet gerade die Reanimation historischer deutscher Bierstile wie Berliner Weiße, Gose, Wiess und Rauchbier statt.
So war die saure Weiße aus Berlin vor mehr als 150 Jahren sogar das Volksgetränk der Hauptstädter, bis sie allmählich ausstarb und nur noch als Touristen-Attraktion mit pappsüßem Sirup gepanscht wurde. Auch die Gose, die in Goslar im Harz ihren Ursprung hat und traditionell mit Salz und Koriander gebraut ist, geriet lange Zeit in Vergessenheit. Das Kölner Wiess hingegen, also der naturtrübe Vorreiter des Kölsch, wurde einst durch filtrierte Biere weitgehend verdrängt, und das Rauchbier gab es Jahrzehnte nur noch aus den Traditionsbrauereien in Bamberg.
Es sind jetzt meist kleine, kreative Brauer, die diese Sorten wiederentdecken und sich auf der Suche nach der originalgetreuen, historischen Rezeptur mitunter Jahre Zeit lassen (müssen). Dass gerade diese historischen Typologien immer beliebter werden, bestätigt auch Holger Eichele, Geschäftsführer des Deutschen Brauerbundes: „Sauerbiere erleben in Deutschland gerade ein echtes Comeback.“ Ähnlich polarisierend wie die sauren Biere kommen die mit geräuchertem Malz gebrauten Vertreter an. Doch Kenner wissen: Nichts geht über ein Rauchbier zu geräuchertem Schinken oder gegrilltem Steak.

Trend 5: Spezialitäten zu jeder Jahreszeit
Die Zeiten, als hiesige Braustätten ihre Kunden das ganz Jahr über mit ihrem Standard-Sortiment langweilten, sind vorbei. So legen viele Brauer jetzt vermehrt Wert auf saisonale Bierspezialitäten und schaffen damit eine bislang nie gekannte Exklusivität. Trendsetter sind meist mittelständische Brauereien, aber auch große Braustätten steigen auf den Trend mit ein. Wer sich im Getränkemarkt umsieht, findet – je nach Jahreszeit – ein breites Angebot verschiedenster Sorten mit ganz unterschiedlichen Geschmacksprofilen: angefangen bei Frühlingsbieren über süffiges Märzenbier bis hin zu hopfenbetonten Maiböcken.
Inzwischen gibt es das ganze Jahr über ein wechselndes Angebot an saisonalen Spezialitäten. Während in den Sommermonaten fruchtige Summer Ales in den Regalen stehen, legen Brauer in den kälteren Monaten eher kräftige Biere mit mehr Umdrehungen vor. So haben von etwa von November bis Februar kräftige Weizenböcke, dunkle Doppelböcke und auch diverse Festbiere ihre Jahreszeit. Eine besondere Stellung nehmen auch meist alkoholreiche Weihnachtsböcke zahlreicher Regionalbrauereien ein. Diese jahreszeitlich orientierten Biere erinnern uns stets daran, dass Bier eine starke saisonale Seite hat und dass dieser „Bierkalender“ immer wieder Anlass zur Kommunikation mit dem Gast liefert.
(Text: Mareike Hasenbeck)