Bei der Hopfenernte live dabei dank Virtual Reality. (Foto: VRtual X)
Bei der Hopfenernte live dabei dank Virtual Reality. (Foto: VRtual X)

Virtuell eintauchen: VR in der Brauerei

Virtual Reality (VR) ermöglicht Usern ein immersives Erlebnis, ein Eintauchen in eine virtuelle Welt. Was etwa im Gaming-Bereich längst Standard ist, kann auch der Braubranche nutzen. Zusammen mit Axel Ohm, Inhaber und Gründer der Hamburger ÜberQuell Brauwerkstätten, hat Matthias Wolk, geschäftsführender Gesellschafter bei VRtual X GmbH in Hamburg, eine VR-Brauerei-Tour entwickelt. Regine Marxen hat mit beiden über Idee und Hintergründe gesprochen.


Eine virtuelle Brauereiführung. Schöne Idee. Aber warum braucht es das?
Axel Ohm: Das Thema Lebensmittel- und Getränkeproduktion interessiert die Menschen. Wo werden sie hergestellt und wie? Im Bierbereich sieht man das meiner Meinung nach an dem Anstieg der Verkaufszahlen von Braukursen oder dem von Brausets. Bisher war für die Besucher das Spannendste an einer Brauereiführung die Flaschenabfüllanlage. Da knattert es, es bewegt sich etwas, das ist mechanisch, erlebbar. Danach folgt der Ausschank von Getränken. Der wirkliche Produktionsprozess bleibt den Besuchern bei der klassischen Führung meist verborgen. Weil hier die Hygieneregeln zu hoch sind, als dass man möchte, dass Menschen mit dreckigen Schuhen etcetera dort hindurchlaufen. Die bisherige Lösung: Man geht durch eine fertige Brauerei, und je mehr dieser Gang von ergänzenden Filmen oder Animationen begleitet wird, desto lebendiger wird das Bild des Brauvorganges. Man sieht dann verspielte alte oder neue Malzsäcke, nimmt mal Hopfen in die Hand, schaut einen Film, alles prima. Aber wir machen jetzt den Schritt weiter: Schön, dass du den Rohstoff in den Händen hältst, setze doch jetzt bitte mal die Brille auf und erlebe, wie sich so ein Hopfenfeld anfühlt, wie der Hopfen geerntet und verarbeitet wird. Lerne den Bauern kennen, der das Ganze macht. Du stehst dann wirklich physisch daneben, kannst dich drehen, bist mittendrin in der Szenerie. Das ist eine völlig andere Dimension. Dann verstehst du die Rohstoffe, den Aufwand, das Produkt auf einem ganz anderen Level. Du beamst dich rein in den Bierkosmos. Das ist das Neue!

Matthias Wolk: Du kannst die VR-Anwendung innerhalb der Brauerei als zusätzliche mediale Plattform nutzen. Darüber hinaus, und das ist der größte Mehrwert der VR-Technologie, kannst du eine komplette Brauereitour virtuell machen, ohne physisch vor Ort sein zu müssen. Wir schaffen damit ein echtes Erlebnis.

Axel Ohm, Inhaber der ÜberQuell Brauwerkstätten
Axel Ohm, Inhaber der ÜberQuell Brauwerkstätten

Du stehst dann wirklich daneben, kannst dich drehen, bist mittendrin in der Szenerie. Das ist eine völlig andere Dimension. Dann verstehst du die Rohstoffe, den Aufwand, das Produkt auf einem ganz anderen Level.

Axel Ohm
Inhaber ÜberQuell Brauwerkstätten

Vollkommen coronakonform.
Wolk: Genau, das ist ein positiver Nebeneffekt. Auch das. Wir verfolgen im Grunde den hybriden Ansatz: Das Beste aus beiden Welten, der analogen und der virtuellen, besser miteinander zu verschmelzen. Ich sehe das Ganze nicht durch die Marketing-Brille alleine. VR ist auch ein super Tool in der Kommunikation, aber auch geeignet, um zum Beispiel Geschäftspartnern zu zeigen, wie nachhaltig die Prozesskette ist. Man kann mit der Technologie mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen.

Ohm: Nachhaltigkeit in der Prozesskette ist ein wichtiger Punkt. Derzeit reden die Brauereien nur sehr selten über Nachhaltigkeit. Wir haben eine Bio-Bewegung in Deutschland, die noch sehr, sehr klein ist. Im Prinzip ist dieser Prozess der nachhaltigen Prozessgestaltung und Brauerei-Entwicklung etwas, an dem die Branche nicht vorbeikommt. Die VR-Anwendung kann von der ersten Stufe an Transparenz für Partner und Konsumenten schaffen, die ich mit irgendwelchen Dokumenten nicht erreiche. Das ist die neue Welt mitsamt ihren unzähligen technologischen Möglichkeiten, die wir Brauereien nutzen können, weit über die Brauereiführung, wie wir sie launchen werden, hinaus. Sie ist erst der Anfang.


Matthias, hast du weitere Beispiele für den Einsatz von VR in der Braubranche?
Wolk: Wir haben unterschiedliche Ansätze, die wir technologisch verfolgen könnten und damit für ein immersives Erlebnis sorgen. Sei es eine Brauereiführung, in der die Herstellung von Rohstoffen etcetera für den Besucher erlebbar werden soll. Wir können aber auch mit Hilfe der VR Produktionsabläufe optimieren. Hier sprechen wir vom digitalen Zwilling. Wir bauen virtuelle Plattform für Unternehmen, wo es um ein 1:1-Abbild der Realität geht. Ein virtuelles Abbild. Zum Beispiel, wenn wir für den Hamburger Hafen den Speicher X nachbauen, um Brandschutzmaßnahmen zu testen. Das setzen wir auch in der Nahrungsmittelindustrie ein, indem wir einen Teil der realen Bedingungen virtuell nachbauen und einen Teil des realen Geschäftslebens in der virtuellen Welt stattfinden lassen, um Prozessketten zu visualisieren oder zu testen.

Matthias Wolk, geschäftsführender Gesellschafter VRtual X GmbH
Matthias Wolk, geschäftsführender Gesellschafter VRtual X GmbH

Wir verfolgen im Grunde den hybriden Ansatz: Das Beste aus beiden Welten, der analogen und der virtuellen, besser miteinander zu verschmelzen.

Matthias Wolk
geschäftsführender Gesellschafter VRtual X GmbH

Ich kann mir vorstellen, dass das Tool auch in der Ausbildung nützlich sein kann. Oder im Recruiting.
Ohm:
Arbeitssicherheits- und Schutzmaßnahmen lassen sich virtuell trainieren. Am Simulator.

Wolk: Richtig. Recruiting und Onboarding kann mittlerweile komplett virtuell stattfinden. Dann werden beispielsweise Schnitzeljagden gemacht innerhalb der virtuellen Welt, sodass neue Mitarbeiter*innen schon einmal das Unternehmen und die Kolleg*innen kennenlernen können. Auch virtuelles Lernen wird immer relevanter. Es kann mit VR überall auf der Welt stattfinden.


Matthias, du hast den digitalen Zwilling angesprochen. Könnte man eine Brauerei virtuell planen. Für Brauereien in einer denkmalgeschützten Immobilie ist das sicher interessant, oder?
Wolk: Sicherlich. Das machen wir schon jetzt, sind teilweise von Anfang an dabei, arbeiten mit den Daten der Architekten, konstruieren Gebäude, visualisieren die Wege und die Infrastruktur. Wir unterstützen aktuell die Entwicklung des neuen Bootes von Boris Herrmann mit VR-Technologie. Die Architekten und Konstrukteure in Frankreich treffen sich mit Boris, der in Hamburg bleiben kann, im digitalen Zwilling des Bootes. Die Entwicklung ist in Echtzeit anfassbar und erlebbar. Keiner muss mehr reisen, es ist ressourcenschonend, nachhaltig und kostensparend. Rapid-Prototyping ist der Fachbegriff dafür. Die Technik ist da, wir können sie vielfältig nutzen.


Wie sieht es bei den Kosten aus?
Wolk: Kommt darauf an. Die Technologie ist das eine, das Wichtige ist der Inhalt. Welche Story wollen wir in der virtuellen Welt erzählen? Was wird in der virtuellen Welt gebaut, was nachgebaut? VRtual X ist im Kern ein Software-Produzent, der sich mit der State-oft-the-art-Hardware aber bestens auskennt. Unser Job ist es, die Inhalte ansprechend aufzubauen. Je mehr Inhalte programmiert werden müssen, desto teurer wird das Projekt. Das beginnt bei 15.000 bis 20.000 Euro als Basis, nach oben sind keine Grenzen. Wir empfehlen unseren Kunden, klein anzufangen. Denn wenn das Projekt nicht so läuft wie gewünscht, sind das Geld und das Thema verbrannt, und dafür ist es einfach zu wertvoll. Deswegen sagen wir: Arbeitet kleinteilig. Wir nehmen unsere Partner und Kunden mit auf die Reise, bei der auf Kundenseite immer wieder neue Ideen entstehen können, die in das VR-Erlebnis einfließen.

 

Fotos: Axel Ohm (Henning Angerer), Mattias Wolk (Niklas Hemker)

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