Die ewige Diskussion um Modernisten und Traditionalisten ist in Montalcino ebenso überholt wie im Fall von Barolo und Barbaresco. Dennoch blieben nach der Probe von rund 80 Rosso und Brunello di Montalcino einige Erkanntnisse als grobe Orientierung.
Erstens: die Farbe. Sattes opakes Blau bis Schwarzrot im Glas führte selten zu Höchstbewertungen, Bei diesem Maß an Konzentration gehen ein Stück weit die großen Stärken von Brunello verloren. Die bestehen in der erfrischenden, geschliffenen Tanninstruktur und einem ausgeprägt mineralischen Mundgefühl, das je nach Herkunft oder Terroir in eine tonige oder rauchig-steinige Richtung gehen kann. Auch ein bräunliches Karminrot kündigte meist eine Dörrobstaromatik an, nicht selten gepaart mit einer alkoholischen Schärfe. Das prägte vor allem viele Brunello-Weine des Jahrgangs 2015, die nur in wenigen Ausnahmefällen begeistern konnten. Wer jedoch auf den kraftvollen, reifen Brunello-Typ mit mürben Tanninen steht und keine Angst vor höheren Alkoholgraden hat, wird auch mit 2015 glücklich. Unser Eindruck ist, dass den Winzern im ebenso heißen Jahr 2017 balanciertere, pikantere Weine gelungen sind. Über die herausragende Qualität des Jahrgangs 2016 wurde ohnehin bereits vielfach geschrieben.


Zweitens: die Top-Terroirs. Zeichnet man die herausragenden Weingüter der Probe in einer Karte ein, zeigt sich, dass viele auf den Kalk- und Sandsteinfelsen südöstlich von Montalcino gewachsen sind. Das gilt für die Nachbarn Pian dell’Orino und Biondi-Santi ebenso wie das etwas weiter südlich gelegene Weingut Salicutti der Familie Eichbauer (Nachbar Brunelli fehlte in der Probe). Zumindest ein Teil der Weinberge von Casanova di Neri (weiter östlich) ist diesem Terroir zuzurechnen, wenn auch deutlich tiefer gelegen, ebenso wie Pieve Santa Restituta von Gaja (weiter im Westen). Diese beiden markieren nicht nur geografisch, sondern auch stilistisch den Grenzbereich dieser Terroir-Zone. Eleganz, Struktur und Tiefe, zuweilen kantig, jedenfalls nicht übertrieben fleischig oder gar üppig – so lässt sich der rote Faden zusammenfassen. Der Rest ist Handschrift und die zeichnet sich bei Jan-Hendrik Erbach (Pian dell’Orino) in einem Maximum an Finesse aus (eher blaufruchtig), bei Biondi-Santi in der festen vertikalen Tanninstruktur, die langlebige, in der Jugend zuweilen kantige Weine liefert. Salicutti ist deutlich feiner und präziser geworden, das lässt sich trotz des heißen Jahrgangs 2017 sehr deutlich erkennen. Bei La Fiorita wechselt der Boden bereits auf Schiefer und Silite, doch hier prägt ohnehin die deutlich wildere Handschrift den Charakter, wobei der Schiefereinfluss zu erahnen bleibt. Noch weiter im Südosten, bei Castelnuovo dell’Abate, befinden sich die Weinberge von Poggio di Sotto an der Grenze von Kalk- und Sandstein. Vielleicht erklärt das ja das Maximum an Eleganz, das Poggio di Sotto seit jeher auszeichnet, in Verbindung mit festen, geschliffenen Tanninen.
Casanova di Neri hat längst seine eigene, kraftvolle Stilistik gefunden, bei Tenuta Nuova und Cerretalto kombiniert mit geschliffenen Tanninen und viel Tiefe. Zum Teil sind die Weinberge von Casanova di Neri bereits dem Ton-geprägten Norden zuzurechnen. Die Vorteile der Tonböden im flacheren, unbewaldeten Norden der Appellation verstanden in unserer Probe drei Weingüter besonders gut zu nutzen: Le Chiuse, Valdicava und Caparzo mit den historischen Einzellagen-Brunello Vigna La Casa.
Im waldigen Nordosten mit seinen Galestro-Böden sind Corte Pavone, Le Potazzine und Luce ansässig. Allesamt etwas dunkler in Frucht und Farbe, mit dunkler Mineralität und beeindruckender Struktur ausgestattet.
Auffallend und wenig überraschend: Keiner der Top-Weine der Probe stammte aus dem äußersten Süden und Südwesten.


Weitere herausragende Brunello di Montalcino (veröffentlich Meiningers Sommelier 02/2022):
95
2017Le Chiuse Brunello di Montalcino, 14,5 %vol., 51,– €, Vinaturel
expressive, elegante Kräuterwürze, Salbei, Sandelholz, feine minzige Art, Heidelbeere, etwas Moschus, extrem delikate Nase; druckvoll, feine, edle Kakaonote, dicht, aber nicht fett, tonige Textur, sehr präsent, aber nicht schwer
95
2016 Valdicava Brunello di Montalcino, 13,5 %vol., 99,– €, Lobenbergs Gute Weine
super feine Reifenoten, Backpflaume, viel edler Tabak, ein Hauch Brett, Zedernholz, dahinter Menthol und Eukalyptus, Kornelkirsche, etwas Sanddorn und Orangenschale; fokussiert, jugendlich und druckvoll am Gaumen, sehr klare Gerbstoffflanken, kernig-mineralisch, hält die Spannung
95
2016 Salicutti Teatro Brunello di Montalcin0, 14,5 %vol., 163,– €, Vinaturel
subtiler, verhaltener Duft: orientalische Gewürze, Macis, Piment, Schwarztee, Sandelholz. Kirschkern und getrocknete Süßkirschen wird mit Luft immer komplexer, ein Hauch Leder; süßer Extrakt, wieder attraktive Kirschfrucht, stoffig, nie überbordend, sehr elegant
jeweils 94
2017 Giodo Brunello Brunello di Montalcino, 14 %vol., 125,– €, Tesdorpf
klare, geschliffene Nase, leicht minzige Kräuterwürze, dunkle Schokolade, Pflaume, dezent blaubeerig, sehr fest, aber poliert und gerundet, elegant verkleidet, tonige Textur zieht sich durch
2017 Filo di Seta Brunello di Montalcino, 14,5 %vol., 99,– €, Lobenbergs Gute Weine
ausgeprägt kräutrige Nase, frisch, leicht zestig, Wildkräuter, Wiesensalbei, Zedernholz; feste, kompakt-geschliffene Art, polierte, präsente Tannine, saftige Länge
2016 Caparzo, Vigna La Casa Brunello di Montalcino, 14 %vol., 65,– €, Vinissimo
satte rote Frucht, Sauerkirsche, Heidelbeere, wirkt recht jung, rohes Fleisch, kernige Kräuterwürze; am Gaumen noch sehr festes, ziehendes Tannin, nicht zu ausladend
2016 Pieve Santa Restituta di Gaja Brunello di Montalcino, 14,5 %vol., 69,90 €, A. Segnitz & Co.
urig-fleischig-kerniger Duft, Lorbeer, feine Kirschfrucht, auch Cranberry und Bitterorange, durchaus modern, wird mit Luft eleganter; sehr griffig und pikant am Gaumen, junges Tannin, viel Potenzial, sehr gute Balance
2016 Corte Pavone, Cru Fior di Meliloto Brunello di Montalcino, 14,5 %vol., 62,70 €, Loacker Wine Estates
sehr dunkler Duft, Langpfeffer, Lakritz, Salbeitee, auch Eukalyptus und Mentholtabak, durchweg kühl, Schwarzkirsche; sehr dicht und stoffig mit noch fast undurchdringlichem Gerbstof, wieder Lakritz und kräutrig-florale Noten, jung
2016 Salicutti Piaggione Brunello di Montalcino, 15 %vol., 89,– €, Vinaturel
offener, traditioneller Duft, urig-malzige und wildkräutrige Würze, Waldfrucht, braucht etwas Luft, um feiner zu werden, dann kommen floral-ätherische Noten, Veilchen; sehr stoffig und mit reifem Tannin, Kakaopulver
2016 La Fiorita Brunello di Montalcino, 15 %vol., 53,90 €, Christ Weinhandel
offen, rustikal und speziell, Milchschokolade, geräucherte Charcuterie, Eisen, wird mit Luft besser, Bitterorange, Sauerkirsche; wirkt angenehm leicht und trinkig, herb-griffige Tannine, wieder bittere Zitrusfrucht, individueller Stil
2015 Salicutti Teatro Brunello di Montalcino, 14,5 %vol., 145,– €, Vinaturel
warmer Duft, aber nie zu opulent, Zimt, etwas Tabak, Früchtebrot, etwas Lakritz, Bergamotte, feines Holz; feiner süßlicher Extrakt am Gaumen, feinkörniges Tannin, wieder Zimt, seidig
2015 La Fiorita Brunello di Montalcino Riserva, 14,5 %vol., 91,90 €, Christ Weinhandel
rustikal, rohes Fleisch, florale Kopfnote, Veilchen, Hibiskus, Orangenschale, Kubebenpfeffer, hellrote Frucht; wirkt jugendlich, vitaler Gerbstoff-Säure-Mix, nicht zu mächtug
2016 Casanova di Neri, Tenuta Nuova Brunello di Montalcino, 14,5 %vol., 115,– €, Tesdorpf, Garibaldi
moderner Duft, frische Pflaumen- und Kirscharomatik, dahinter kräutrig-floral, etwas Bitterschoko, gute Frische; Auftakt erst straff, dann spürbarer Alkohol, noch leicht kantiger Gerbstoff, feste Struktur