Ausgabe 01/2018

Dümmer geht’s immer

Titel WW1/2018

Mein Editorial mit dem Titel »Seltsames Deutschland« hat viel Zustimmung gefunden. Ein wenig scheint mir, als hätten viele andere Medien das Thema ebenfalls aufgegriffen und die unzumutbaren Verhältnisse bestätigt. Doch da täusche ich mich. Das Problem ist noch viel größer und längst auf gesamtgesellschaftlicher Ebene angelangt, darum der mediale Widerhall. Es berührt letztlich die Frage: Wie leben die Menschen auf dieser einen Erde in Zukunft, und wann kollabiert sie? Wann sind ihre Ressourcen erschöpft? Und was ist der bessere Weg: Markt oder Staat?
Doch zurück zum Jetzt. Das Weihnachtsgeschäft 2017 erreichte, wie der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) verlauten ließ, mit einem Umsatz von knapp 95 Mrd. Euro einen neuen Rekordwert. 3 Prozent mehr als vergangenes Jahr gaben die Konsumenten vor den Festtagen aus. Allerdings ungleich verteilt. Größten Zugewinn konnten die Online-Händler verbuchen, während die stationären Läden in den Innenstädten über ein eher flaues Geschäft berichteten. Zwar würden auch immer mehr stationäre Läden im Onlinegeschäft mitbieten, doch wer nicht bezüglich Gestaltung, Schnelligkeit, Auswahl und Service mit den Seiten der großen Onliner mithalten könne, würde von der Generation der 25- bis 34-jährigen links liegen gelassen, die wohl zu den Hauptakteuren im wachsenden Onlinegeschäft zählen, das den Rahmen der Lieferdienste sprengt. Man kann sich das richtig vorstellen: die hippen jungen Käufer, rund um die 30, die zeitlebens verwöhnt und von Muttern umsorgt wurden und vielleicht erst seit ein paar Monaten wie ein Kuckuck das Nest verließen, wie sie mit dem Smartphone wedeln und auf dem Sofa dem Eintrudeln von allen erdenklichen Dingen erregt entgegenfiebern, statt einen Schritt vor die Haustüre zu machen. Was droht da erst noch, wenn die nachfolgende Generation der 10- bis 20-jährigen bewegungsarmen Gamer auf die Menschheit losgelassen wird? Die erreichen ob Muskelschwund auf der einen oder Überfettung auf der andern noch nicht mal die nächste Straßenecke.
Doch Zynismus beiseite, die Sache ist ernst, und als wär es eine Folge des Verkehrskollaps, löste die Stadt Stuttgart mit dem ab 8. Januar 2018 Punkt 18.00 Uhr ausgelösten Feinstaubalarm die nächste Eskalationsstufe auf der steigenden Kurve gesellschaftlicher Fehlentwicklungen aus. Dazu reicht inzwischen die Prognose des Deutschen Wetterdienstes, der an mindestens zwei aufeinanderfolgenden Tagen ein eingeschränktes Austauschvermögen der Atmosphäre erwarten muss. Wie lange der Feinstaub­alarm und die damit verbundenen Einschränkungen andauern werden, ist noch nicht abzusehen. Ein gemütlicher Kachelofen muss jetzt aus bleiben. Dazu sollen die Bürger ihr Auto stehen lassen, zu Fuß gehen oder auf öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad umsteigen. Verkehrsbeschränkungen gibt’s noch keine, aber die können kommen. Und die Lieferdienste? Sie sind zu Stoßzeiten für rund ein Drittel aller Staus und in ganz erheblichem Umfang für Feinstaub und Umweltbelastungen verantwortlich. Wie lange die noch fahren dürfen, weiß im Moment niemand.
Wen wundert es da, dass nach dem Gesetzgeber gerufen wird, der dem Zustellchaos auf der letzten Meile  Schranken setzen soll. Eine Behörde könne dafür Sorge tragen, dass die Paketdienste und deren Fahrer nicht kreuz und quer durch die Städte rollen, sondern ihre Touren abstimmen. Verwaltung statt Marktwirtschaft ist das Letzte, was es jetzt noch braucht. Dafür empfehle ich mal die Geschichte des Postwesens nachzulesen, von den Anfängen der berittenen Kuriere über die Feudalzeiten der Thurn und Taxis bis zu dem von preußischem Standesdünkel geprägten Postbeamten, der im bürokratischen Sumpf jegliche Effizienz einbüßte und Deutschland als Innovationswüste im Daten- und Güterverkehr hinterließ. Aber ein Minister fürs Päckchen, der hätte doch schon was, zumindest fürs eigene Wohlergehen.

Hermann Pilz
Chefredakteur Weinwirtschaft
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